Die Bluffs der Arbeitsbehörde

Sie heißen jetzt Kunden. Dennoch verunsichern die Arbeitsagenturen Erwerbslose mit Briefen zum Arbeitslosengeld II. Darin wird suggeriert: Wer seinen Antrag nicht sofort abgibt, muss mit Leistungskürzungen rechnen. Umsetzung von Hartz IV drängt

von RICHARD ROTHER

Falko Schweizer* traute seinen Augen kaum, als er den Brief der Arbeitsagentur Berlin-Süd öffnete. Der arbeitslose Lebenskünstler solle seinen Antrag auf Arbeitslosengeld II schnell vollständig und persönlich abgeben, andernfalls könne das Arbeitslosengeld gekürzt werden, stand da sinngemäß. „Ich war völlig von den Socken“, so Schweizer. Erst nach längerem Überlegen sei ihm bewusst geworden: „Irgendetwas stimmt da nicht.“

Kein Einzelfall, sagt Safter Cinar vom DGB Berlin-Brandenburg. In den gewerkschaftlichen Beratungsstellen tauchten immer wieder verunsicherte Betroffene auf. Sie hätten Angst davor, dass ihnen die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung drohe, wenn die Betroffenen nicht schnell den seitenlangen Antrag auf Arbeitslosengeld II abgeben. Rein rechtlich ist das noch bis zum 31. Dezember möglich. Die Ämter haben aber Mühe, rechtzeitig alle notwendigen Daten zu erheben, drücken aufs Tempo.

Briefe, in denen indirekt gedroht werde, seien häufig, sagt Anne Seeck von der Erwerbsloseninitiative „Anders arbeiten“. Sie spricht von einem „Bluff“, für DGB-Mann Cinar ist es eine „unglückliche Formulierung“. Eine Absicht stecke jedoch nicht dahinter, hätten Vertreter des Arbeitsamtes den Gewerkschaftern gesagt.

Dies sieht Schweizer anders. „Die Leute sollen Angst kriegen.“ Dafür täusche die Arbeitsagentur eine Legalität vor, die nicht gegeben sei. In dem Schreiben der Arbeitsagentur Süd, das der taz vorliegt, wird Schweizer gebeten, an einem bestimmen Tag Anfang Oktober seinen Antrag auf Alg II „vollständig ausgefüllt abzugeben“, damit solle „eine möglichst nahtlose Bearbeitung“ des Antrages gewährleistet werden. Zu diesem Termin soll Schweizer auch „alle für die Bearbeitung erforderlichen Unterlagen (möglichst im Original und mit Fotokopien)“ mitbringen.

Einen Absatz weiter heißt es dann: „Dies ist eine Einladung nach § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Falls Sie ohne wichtigen Grund dieser Aufforderung, bei der Agentur für Arbeit vorzusprechen, nicht nachkommen (Meldeversäumnis), wird Ihnen ihre Leistung vom Tage nach Meldeversäumnis an für die Dauer von zwei Wochen nicht gezahlt (Säumniszeit nach § 145 Abs. 1 SGB III).“ Hinweise auf ein Beratungs- oder Informationsgespräch finden sich in dem Schreiben nicht.

Schweizers Fall lasse sich von außen nicht beurteilen, sagt Uwe Mählmann, Sprecher der Arbeitsagentur Süd. Zurzeit lade die Agentur allerdings zahlreiche Arbeitslosenhilfe-Empfänger zu Gruppen-Informationsveranstaltungen über Arbeitsgelegenheiten ein, die so genannten Ein-Euro-Jobs. In den Einladungen würden die Betroffenen auch daran erinnert, den Antrag auf Arbeitslosengeld II abzugeben. „Wir würden es schon gern sehen, die Anträge bald zu haben.“ In den Schreiben sei auch eine Belehrung enthalten, dass denjenigen Leistungen gekürzt werde, die nicht zur Infoveranstaltung erscheinen. Eine drohende Absicht stecke nicht dahinter, versichert Mählmann. Vielmehr sei die Verschickung der Kombi-Briefe sehr wirtschaftlich, da der Personenkreis identisch sei. Fast schon sträflich wäre es, zwei Briefe zu verschicken – einen für die Gruppeninfo und einen für den Alg-II-Antrag. „Wir schlagen so zwei Fliegen mit einer Klappe.“

*Name geändert