Vom Staumelder zur Stimme des Kanzlers

Der ehemalige taz-Kollege, Journalist und Buchautor Reinhard Hesse ist im Alter von 48 Jahren gestorben

Die besten Geschichten kann man nicht schreiben, sondern nur erzählen, und Reinhard Hesse erzählte sie gern. Wenn nach Redaktionsschluss Zeit war, sich zurückzulehnen, zu reden, zu rauchen, zu trinken, war er in seinem Element, ganz der „Araber“, wie wir ihn wegen seiner Kindheit in Kairo manchmal nannten, aber auch der intelligente, weltläufige, witzige Westler. Er war Anfang der 80er der erste Korrespondent, den die taz in den Nahen Osten schickte. Er berichtete nicht nur weiter aus dem Libanon, als andere Zeitungen ihre Korrespondenten wegen des Kriegs längst abgezogen hatten. Er berichtete dank seiner Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit der arabischen Kultur auch anders und meist besser. Kein Wunder, dass er als einer der Ersten aus dem linken Brutkasten taz vom „Mainstream“ abgeworben wurde, von Heinz van Nohouys, der die französische Playboy-Version Lui und H.M. Enzensbergers Journal Transatlantik herausgab. Die Zeit der lila Latzhosen war noch nicht vorbei, und der tazler beim „Tittenblatt“ empörte einige KollegInnen schwer. Andere waren froh, dass sie dank Reinhard mit einem 50-Zeiler im „Journal des Luxus und der Moden“ so viel verdienen konnten wie bei der taz im Monat.

Als Manfred Bissinger Die Woche startete, war Reinhard dabei, als Autor, Redakteur, Berater und Generalist: Ausland, Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, es gab kaum ein Ressort, in dem sich der bekennende Hannover-96-Fan nicht auskannte. Aus Hannover kannte er auch Gerhard Schröder, dessen Gedanken er als Ko-Autor und Ghostwriter in zwei Büchern zu Papier brachte und an dessen Aufstieg zum wiedergewählten Kanzler die von Reinhard formulierten Reden sicher erheblichen Anteil hatten. Denn er war nicht nur Wortschmied und Edelfeder, sondern auch Dramaturg und politischer Kopf – zuletzt hatte er ein Gespräch mit Gerhard Schröder und dem spanischen Autor Jorge Semprun über die Zukunft der Linken vorbereitet, das er zum Buch machen wollte. Dass er einen Termin auf der Buchmesse absagen musste, lag an der Krebskrankheit, die vor wenigen Monaten diagnostiziert wurde. Am Montag ist Reinhard daran gestorben. Er wurde 48 Jahre alt.

„Soll ich dich trösten?“, fragte er die entsetzten Freunde, wenn er ihnen von der fatalen Diagnose berichtete. Ja, wenn du es von da oben kannst! Uns hier bleibt nur die trostlose Einsicht, dass immer die Guten zu früh sterben, und die Erinnerung an einen unserer besten Kollegen. An sein letztes Buch („Ground Zero. Der Westen und die islamische Welt gegen den globalen Dhijad“) und an eine seiner Geschichten: sein erstes Geld als juveniler Journalist verdiente Reinhard, indem er zum Grenzübergang Helmstedt fuhr, die Staulänge checkte und einen Kurzbericht über die Abfertigungsdauer an verschiedene Sender durchgab, die je 20 Mark dafür zahlten. Vom Staumelder zur Stimme des Kanzlers – dem journalistischen Nachwuchs kann Reinhard Hesses großartiger Weg Hoffnung machen. MATHIAS BRÖCKERS