: Das Vermummungsverbot
Schwedens Schulen dürfen ihren Schülerinnen verbieten, sich zu verhüllen. Denn sonst könnte ja jede unerkannt die schlaue Freundin zur Prüfung schicken. Zudem drohe im Chemieunterricht Feuergefahr
aus Göteborg REINHARD WOLFF
Ein Stück Tuch ist mehr als ein Stück Tuch. Das wissen Felis Mohamud und ihre Freundin spätestens seit jenem Donnerstag im August, als sie erstmals mit einem Ganzkörperschleier bekleidet das Burgården-Gymnasiums in Göteborg betraten. Mit dem Nikab – er unterscheidet sich von der afghanischen Burka dadurch, dass die Augen durch einen schmalen Sehschlitz sichtbar sind – wollten die beiden 19-jährigen Schülerinnen eine „Veränderung zum Ausdruck bringen“. Felis: „Das ist ein Teil meiner Religion. Der Schleier gibt mir Sicherheit.“ Sie fühle sich jetzt „mehr als praktizierende Muslimin“ – „es ist schön, etwas zu machen, was die Religion von mir verlangt.“
Die beiden aus Somalia stammenden jungen Frauen wurden damit schnell berühmt. In der Boulevardpresse mutierte der Nikab zur Burka und die Mädchen zu Anhängerinnen der Taliban. Und erstmals nahm die oberste Schulbehörde Schwedens zu einer Kleiderfrage Stellung. Sie beschloss, den Schulen zu erlauben, Burka und Nikab zu verbieten. Begründung: Der pädagogische Auftrag der Schule sei höherrangig anzusetzen als das Recht der Schülerinnen, ihrer religiösen Auffassung während des Schulunterrichts Ausdruck zu geben.
„Das ist eine die persönliche Integrität grob verletzende Entscheidung, welche Menschen hindern will, sich so zu kleiden, wie sie meinen, ihre Religion schreibe es vor“, kritisiert Abd al-Haqq Kielan, Imam der Islamischen Gemeinde Schwedens. Und auch beim staatlichen Amt des Ombudsmanns für ethnische Diskriminierung (DO) hat man seine Zweifel: „Das könnte als Unterdrückung der religiösen oder ethnischen Freiheit verstanden werden, jemand einen bestimmten Kleidungsstil zu verbieten.“ Werde es in einem Einzelfall zu einem Verbot kommen, werde der DO von Gerichten prüfen lassen, ob so ein Verbot mit der schwedischen Verfassung und der EU-Antidiskriminierungs-Direktive vereinbar ist.
Staffan Hallström, den Direktor des Burgården-Gymnasiums in Göteborg, plagen da ganz andere, praktische Sorgen. Wenn Schülerinnen komplett verschleiert seien, wüssten die Lehrer ja nicht, ob sich im Schulunterricht oder bei Prüfungen tatsächlich die richtigen Personen hinter dem Gesichtsschleier versteckten. Oder vielleicht jemand anders, der sich dafür aber gut mit Mathe oder Latein auskennt und die Prüfung stellvertretend schreibt. Ein Argument, das dem Skolverket einleuchtete. „Man muss zumindest wissen, ob es die richtige Person ist“, begründet Ingegärd Hilborn, Chefjuristin der schwedischen Schulbehörde Skolverket, das jetzt sanktionierte teilweise Entschleierungsgebot: „Sonst wird die Gleichbehandlung aller Schüler unmöglich gemacht.“ Die Schule sei kein privater, sondern ein öffentlicher Ort, für den gewisse Regeln gelten – „und was die Religionsausübung angeht ein neutraler Platz“. Neben pädagogischen – „die Kommunikation zwischen Schüler und Lehrer wird fast unmöglich, wenn man den Gesichtsausdruck nicht sieht“ – gebe es auch Sicherheitsprobleme: „Ich sehe da Risiken im Chemieunterricht und eine erhöhte Unfallgefahr.“
Was das schnell akzeptierte Kopftuch und der Hijab in Schweden nie schaffte – die beiden von KlassenkameradInnen als „ganz normale Mädchen“ beschriebenen Schülerinnen traten nun eine Debatte über die Grenzen religiös begründeter Verschleierung los. Kaum allerdings auf dem Schulhof des Burgården-Gymnasiums, wo es offenbar nur eine Meinung gibt: „Unsinn“. Keine Behörde habe sich in die Kleiderwahl der SchülerInnen einzumischen. Klassenkameradin Marina: „Niemand regt sich ja darüber auf, wenn einige Mädchen hier halbnackt herumlaufen. Obwohl es bestimmt angebrachter wäre, da zu reagieren.“ Schulsprecherin Nora will ebenfalls kein Verbot, „das hat nur negative Folgen“. Und findet es „mutig“ und „okay, wenn sie ihr Gesicht nicht zeigen wollen“.
Auf den Kulturseiten wird der Burgården-Konflikt mittlerweile unter dem Gesichtspunkt diskutiert, was eigentlich objektivierend, frauenfeindlich und sexualisierend in dieser Gesellschaft ist. Und gefragt, ob Felis und ihre Freundin (die ihren Namen nicht genannt haben will) etwa weniger eine unzeitgemäße Tradition, sondern vielleicht eine neue Art, sich zum Ausdruck zu bringen, repräsentierten. Während Integrationsministerin Mona Sahlin mit einem „das ist etwas, was Frauen verstecken und unsichtbar machen soll“, den Anti-Burka Beschluss absegnet: „Eine offene Gesellschaft erfordert ein offenes Angesicht.“
Pragmatiker Hallström hatte sich schon vor Wochen mit den beiden Nikab-Trägerinnen auf einen Kompromiss geeinigt: Im Unterricht selbst sollten sie den Gesichtsschleier ablegen. Ansonsten hatte er keine Einwände gegen das Tragen auf dem Schulgelände. Börje Ehrstrand, Rektor der Rinkeby-Schule im gleichnamigen Stockholmer Vorort mit mehrheitlich ausländischer Einwohnerschaft ist an alle möglichen Versionen von Kopfbedeckungen gewöhnt. Hätte aber Bedenken gegen ein „Tuchpaket“ oder „wenn da plötzlich 30 Burkas im Klassenzimmer säßen“. Felis will selbst Lehrerin werden. Und sieht keine Probleme, eine Klasse mit Nikab-tragenden Mädchen zu unterrichten: „Ich wäre stolz auf sie.“