: Gut abgewrackt?
Aus Alt mach Neu, dazu noch eine Prämie – aber keine Zeit zur Trauer. Kulturkritische Gedanken zum Abwracken anlässlich des allerletzten taz.mags
VON MARTIN REICHERT
Die Abwrackprämie bedient, wenn schon nicht die niedersten, dann doch die kindlichsten Anteile der menschlichen Konsumentenseele: Man haut etwas Altes, eigentlich Bewährtes, vielleicht sogar Schönes kaputt – und bekommt zum Lohn auch noch Geld, um sich etwas Neues zu kaufen. Die Super Nanny würde so etwas bestimmt nicht gutheißen. Angela Merkel erlaubt es.
Das prominenteste menschliche Abwrackopfer ist derzeit „Bahnchef Medorn“, der zwar, womöglich dank der ihm stets unterstellten persönlichen Teflonbeschichtung, keineswegs wie ein menschliches Wrack rüberkommt, aber trotzdem entsorgt und gegen etwas Neues eingetauscht werden soll. Wenngleich noch niemand genau weiß, ob mit dem Neuen auch das Bessere kommt, wirkt die Öffentlichkeit schon jetzt ein wenig betreten, wie sie so an der Schrottpresse steht: Na ja, eigentlich war er ja noch gut in Schuss. Schwarze Zahlen! Internationaler Logistikkonzern – und das Getriebe funktionierte bis zum letzten Tag tadellos.
Das Neue in der Wiederkehr des ewig Gleichen wurde schon von Heiner Müller zur Fahndung ausgeschrieben. Man versucht, den neuen Menschen zu erfinden, und am Ende entpuppt er sich doch wieder als alter Bekannter, dem man ein verzweifelt-betrunkenes „Dischkennischdoch“ entgegenlallt. Und wie traurig das sein kann, wenn man einen geliebten Feind verloren hat – fast so schlimm wie der Verlust eines Geliebten oder einer Geliebten. So vermutete man neulich im Eulenspiegel anlässlich der sich häufenden Trennungsdramen Prominenter von Boris Becker bis Veronica Ferres, dass die Boulevardpresse womöglich längst Abwrackprämien für verflossene Lebensgefährten ausschütte. Wie dem auch sei: Wen soll man nun verantwortlich machen, wenn der Zug Verspätung hat? Bei der DB-Hotline anrufen? Wie trostlos!
In unserer jetzigen Zeit scheint der Blick so angstvoll in die Zukunft gewandt, dass der Blick auf das Bewahrenswerte, gut Funktionierende, eigentlich Okaye versperrt ist. Es wird stattdessen lustvoll bis aggressiv abgewrackt. Es wird abgeschafft, eingestellt, ausgebrannt, beseitigt, demoliert, demontiert, eingerissen, eingestampft, eliminiert, erdrückt, erstickt, gejätet, niedergeschlagen, zerstört. Der hübsch-hässliche – vielleicht sogar designtechnisch tragisch misslungene – alte, verzickte Citroen mit dem harmlosen Wackelkontakt im Blinkerhebel soll weichen, damit Opel weiter Corsas bauen kann?
Den Citroen fährt nun ein guter Freund von mir, während ich mir ein noch viel älteres Auto zugelegt habe. Es ist noch gut. Sogar ökologisch, und zwar deshalb, weil es sowieso schon da ist und nicht extra neu für mich angefertigt werden muss. Ich mag alten Plunder und Ruinen. Auch Wracks. Klar, manchmal sind sie nicht ganz auf der Höhe der Zeit, das heißt, es kann einem passieren, das alle Sicherungen auf einmal durchbrennen, wenn man versucht, den iPod mithilfe des Zigarettenanzünders aufzuladen. Man kann das reparieren, „heil machen“, wie es heißt. Muss man nicht gleich abwracken.
Im Focus war kürzlich zu lesen, dass der berüchtigte Optimismus der Amerikaner – mit diesem Prozac-indizierten Zahnpastalächeln, das einen als Europäer abstößt und zugleich fasziniert – schuld an der Wirtschaftskrise sei. In der gedruckten Ausgabe (Hah! Wird auch bald abgewrackt!) wird einem dazu ein Porträtfoto des kulturkritischen Amis gereicht. Mit angeknipstem Superkronenlächeln. Am Ende sind es genau diese stets der Zukunft optimistisch zugewandten Amis, die die Weltmeere unsicher machen, um ausgerechnet nach alten, faszinierenden Wracks zu suchen. Nur um hernach die verschwommenen, grünstichigen Aufnahmen von algenübersäten Schlachtschiffen, U-Booten und Kreuzfahrschiffen weltweit an Fernsehsender zu verkaufen. Die „Bismarck“ habe ich aus Gründen nächtlicher Schlaflosigkeit schon mindestens neunmal untergehen sehen, ihre Aufbauten könnte ich hingegen im Schlaf auf ein Stück Papier zeichnen – allerdings nur wenn zeitgleich Céline Dion ihr „My Heart Will Go On“ gibt.
Ein Wrack ist eben etwas Faszinierendes. Ein bisschen unheimlich, eine aus der Fasson geratene, nicht mehr funktionierende Gerätschaft, die ehemals Transportzwecken diente und Träume beflügelte. Schiffe, Flugzeuge, Autos. Kinder spielen gerne in Autowracks, Erwachsene machen herzzerreißende Filme wie „Die Legende vom Ozeanpianisten“. Jedes Wrack erzählt eine Geschichte. Auch sogenannte abgewrackte Menschen können beeindrucken, etwa Debbie Harry, Marianne Faithfull, der späte Marlon Brando, Johnny Cash. Wenn sie dann sterben, so wie die letztgenannten Jungs, ist man irgendwie traurig. Und bleibt ohne Prämie zurück.
Doch auch im Fall der konsumstimulierenden deutschen Abwrackprämie ist nicht alles eitel Sonnenschein: „Abwrackchaos!“, titelte Bild dieser Woche: „Kunden-Daten vertauscht! Internet überlastet! Tausende warten auf das Geld! Erste Anträge abgelehnt“. Deutsches Elend. Gleichwohl ist das bundesrepublikanische prämierte Abwracken bestimmt der kommende Exportschlager. Die Japaner wollen zwar keine deutschen Autos kaufen, weil sie selbst reichlich Automobile aus heimischer Produktion auf Halde stehen haben, sind aber an der Einführung einer Abwrackprämie interessiert. Und auch der hiesige Binnenmarkt überschlägt sich fast vor lauter Abwrackeuphorie: Die Welt berichtete vor Kurzem über ein Abwrackangebot für alte Dildos – die neuen seien umweltfreundlicher, weil sie weniger schädliche Weichmacher enthalten. Abgewrackt werden zudem: klobige Röhrenfernseher, Kühlschränke, Wintermäntel und elektrisch betriebene Rührgerätschaften.
Auch das taz.mag geht mit dieser Ausgabe in die Abwrackung. Früher boten die Magazine Platz für alles, was nicht in die klassischen Ressorts passte: Marginalien, Schrilles, Schweres oder die eigentlich viel zu große Oper. Mit der Zeit aber zog die Unterhaltung in die Zeitungen ein – allerorten wurden Gesellschaftsseiten erschaffen, wurde die Seite drei für die Edelfedern reserviert, zwischenzeitlich leistete sich ja sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Reportageseite im Feuilleton. Das Abseitige, Selbstreferenzielle oder sonst wie Seltsame, das auf den zweiten Blick gar nicht mehr bizarr war, kann nun überall in einer Zeitung stattfinden. Die Revolution frisst ihre Kinder, das taz.mag scheint sich irgendwie selbst abgeschafft zu haben. Alles nun Schutt, geht in Ordnung.
Doch es verliert sich etwas Unwiederbringliches. Eine Spielwiese, ein Raum, in dem bar aller Zwänge von Formatvorgaben, der aktuellen Aufhängung, mitunter auch der gestrengen Kategorie der Relevanz, ausprobiert, „versucht“ (Essay!) und auch mal grandios gescheitert werden durfte. Das taz.mag war eine „Wundertüte“, die man samstags nach dem Kaffee kochen wieder mit ins Bett nehmen konnte, um sich in Opulenz zu versenken.
Abschied nehmen gehört zum Leben. Es wird abgewrackt, aber Zeitungen kommen nun mal nicht in die Schrottpresse. Sie werden geschreddert und zu Dämmstoff oder Toilettenpapier verarbeitet. taz.mag-Ausgaben werden überleben, kleine, langsam vergilbende Wracks, die in Archiven und Ordnern lagern. Irgendwann wird sie vielleicht jemand finden und vorsichtig durchblättern: Ach, so hat man damals gedacht?
MARTIN REICHERT, Jahrgang 1973, ist eine taz.mag-Pflanze. Als Praktikant musste er im Jahr 2000 als Erstes recherchieren, wann in der Lausitz die Meerrettichernte beginnt