: Regierung verliert Castor-Poker
SPD-Landesinnenminister Fritz Behrens kann nur noch auf Zeit spielen: Wahrscheinlich noch vor der Landtagswahl rollen die nächsten Atommülltransporte nach Ahaus. Druck der Koalition fehlt
VON ANDREAS WYPUTTA
Nordrhein-Westfalens Landesregierung auf dem Rückzug: Die umstrittenen Atommülltransporte aus dem ehemaligen DDR-Forschungsreaktor Rossendorf bei Dresden ins Zwischenlager Ahaus sind kaum noch zu verhindern, nachdem das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) am späten Dienstagnachmittag einen letzten Widerspruch aus Düsseldorf abgewiesen hat. Mag Landesinnenminister Fritz Behrens die Entscheidung auch als „nicht nachvollziehbar“ kritisieren – der Sozialdemokrat kann nur noch auf Zeit spielen: Noch am gleichen Tag lud das NRW-Innenministerium Vertreter Sachsens für den 10. November zu so genannten „Koordinierungsgesprächen“ ein, bei denen über die Organisation der Atommülllieferungen ins Münsterland diskutiert werden soll. Der sächsische Umweltminister Steffen Flath zeigte sich prompt „hoch erfreut“.
Behrens‘ Kalkül: Er will die Lieferungen so lang wie möglich verzögern – möglichst noch über die Landtagswahl im Mai hinaus. 2004 könne „es keinen Castor-Transport von Rossendorf nach Ahaus geben“, so der Minister: Im November würden zu viele Polizisten auch aus NRW durch Castoren gebunden, die ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben gebracht werden sollen. Und danach sei es für die von der sächsischen Staatsregierung gewünschten Transporte per LKW schlicht zu spät – ein auf eisglatter Straße festhängender Atommülltransport gilt nicht nur Sicherheitsexperten der Polizei als Horrorvision, die es um jeden Preis zu verhindern gilt. Möglich sei damit frühestens ein Termin Ende März 2005, ist aus dem Düsseldorfer Innenministerium zu hören: „In Nordrhein-Westfalen dauert der Winter bis Ende März.“
Damit aber müsste Sachsen eine neue Transportgenehmigung beim BfS beantragen – die bisherige Erlaubnis gilt nur für das laufende Jahr. Behrens‘ letzte Hoffnung: Das dem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin unterstellte BfS könnte die Bedingungen verschärfen, etwa durch die Auflage einer Lieferung über die Schiene. Für die sächsische Staatsregierung aber ist das undenkbar: Das Forschungszentrum Rossendorf verfügt nicht über einen Bahnanschluss.
Am Zug seien jetzt die nordrhein-westfälischen Grünen, ist aus dem Düsseldorfer Innenministerium wie aus SPD-Parteikreisen zu hören. Der kleine Koalitionspartner müsse den innerparteilichen Druck auf Trittin erhöhen, der „arrogant und formaljuristisch argumentiert“ habe. „Natürlich kann der Bundesumweltminister über das BfS einen Schienentransport erwirken“, spottet ein Vertrauter von Behrens über die „Realpolitik der Grünen“. Die aber wehren sich, wollen den schwarzen Peter weiterreichen: Das Haus der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn will das Thema Ahaus nicht kommentieren, verweist auf die „Federführung des Innenministeriums“. Auch Rüdiger Sagel, in der grünen Landtagsfraktion für Atompolitik zuständig, verweist auf die Sozialdemokraten. Die müssten viel mehr Druck auf die sächsische SPD machen – schließlich sei die seit den Landtagswahlen Teil der sächsischen Regierung. Der Atommülltourismus nach Ahaus, der NRW bis zu 50 Millionen Euro allein für die polizeiliche Sicherung kosten könne, sei „finanziell unsinnig“, glaubt Sagel wie Innenminister Behrens und SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück. Wann im nächsten Jahr die „gefährlichen Transporte“ aber rollen, darüber will auch Sagel „nicht spekulieren“.
Denn klar ist bereits jetzt, dass die sächsische SPD die Atommülltransporte nicht zur Koalitionsfrage machen wird – entsprechende Gespräche Behrens‘ gelten als gescheitert. Der Druck der SPD-Bundesebene, die ihren Einfluss im Bundesrat nicht weiter geschmälert sehen will, sei einfach zu groß, entfährt es einem Vertrauten des NRW-Innenministers: „Die SPD ist in Sachsen eine Splitterpartei. Was soll man da erwarten?“