: Der letzte Wille
Mit dem so genannte Patiententestament bauen Menschen vor – damit im Notfall Personen ihres Vertrauens für ihre Wünsche und Rechte eintreten
von KAI VON APPEN
Der Ernstfall kann schneller eintreten, als mensch denkt, jeder kann davon betroffen und mit einer völlig neuen Situation konfrontiert sein: Ein Unfall oder eine Erkrankung setzen den Betroffenen plötzlich außerstande, für sich selbst zu entscheiden. Jetzt ist er auf die Unterstützung von Vertrauten angewiesen – doch da gibt es gesetzliche Barrieren. „Selbst bei einem Unfall ist der verheiratete Lebenspartner oder die Lebenspartnerin nicht automatisch berechtigt, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen“, sagt die Hamburger Fachanwältin Birgit Bozert. Dazu bedarf es erst einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts – und das kann dauern. Bozert: „Es ist daher dringend anzuraten, präventiv etwas zu machen.“
Das hat die 70-jährige Maria Schröder getan, als sie Tochter Angelika und Sohn Martin zum Notar zitierte. Dort unterzeichnete sie im Beisein ihrer Kinder eine Patientenverfügung – auch als „Patiententestament“ bekannt –, in der sie ihren Kindern die Vollmacht gibt, für den Fall, dass sie „geistig oder körperlich“ nicht mehr in der Lage sein sollte, ihren Angelegenheiten zu regeln, in ihrem Sinne zu handeln. Darin verfügt sie zum Beispiel, notfalls die Einwilligung zu ärztlichen Maßnahmen zu geben, selbst wenn die Gefahr bestehe, dass „der Vollmachtgeber“ stirbt. Sie verfügt aber auch: „Sofern keine vernünftige Aussicht auf meine Genesung von körperlicher oder geistiger Krankheit (....) besteht, bitte ich, dass man mich sterben lässt und nicht durch künstliche Mittel am Leben hält. Auch Transplantationen oder künstliche Beatmung lehne ich ab.“ Die Ärzte werden den betreuenden Kindern von der Schweigepflicht entbunden und „ich bitte, mir jede notwendige Menge an Medikamenten zu geben, die erforderlich sind, um mich von Schmerz und Belastung zu befreien, auch wenn sie lebensverkürzend sind oder zu einer Bewusstseinsausschaltung führen“.
Angelika und Martin Schröder sind sich ihrer Verantwortung bewusst. „Sie und wir wollten, dass gerade über lebenserhaltende Maßnahmen zwei Leute, denen sie vertraut, entscheiden, und keine Fremden“, begrüßen sie die Entscheiung der Mutter. „In der Handhabung geht es schneller, und theoretisch brauchen wir uns im Interesse unserer Mutter nicht mit bürokratischen Hemmnissen zu befassen.“ Denn im so genannten Normalfall – einem Herzinfarkt oder Schlaganfall, einer tödlichen chronischen Erkrankung oder einem Unfall – würde das Krankenhaus zunächst das Vormundschaftsgericht beauftragen, einen „Betreuer“ zu suchen. „Das ist ein langwieriger Prozess“, weiß Birgit Bozert. „Es können natürlich in dem Vormundschaftsverfahren auch der Lebenspartner oder die Kinder als Betreuer benannt werden, aber in der Masse der Fälle kann es erst mal kompliziert werden.“
Zudem hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem konkreten Fall gerade die Patientenverfügung modifiziert. Im Frühjahr dieses Jahres verfügten die Bundesrichter, dass der von einem Betreuer angeregte Abbruch einer künstlicher Ernährung – trotz vorhandenen Patiententestaments – einer gerichtlichen Überprüfung durch das Vormundschaftsgericht unterzogen werden müsse. Dadurch soll laut BGH Missbrauch vermieden werden.
In Fachkreisen herrscht dennoch die Meinung, dass das Urteil generell „keine Entwertung“ des Patiententestaments darstelle. Denn in diesem Fall hatte der Arzt eine lebenserhaltende Maßnahme zunächst noch befürwortet. Daher gibt sich auch Birgit Bozert zurückhaltend. „Wir loten zurzeit aus, wie hoch die Anforderungen durch den BGH gesetzt werden“, sagt die Juristin. „Was muss vorliegen? Was war tatsächlich gemeint? Was muss genauer definiert werden?“ Daher sollten Patientenverfügungen – auch wenn ein einfaches unterschriebenes Schriftstück im Prinzip auch nach dem BGH-Urteil weiterhin Gültigkeit behält – sicherheitshalber mit Hilfe eines Anwalts oder Notars aufgesetzt, formuliert und beglaubigt werden – um späteren juristischen Interpretationsproblemen vorzubauen.