: Dorf unter Feuer
Bericht aus einem psychologischen Krisengebiet. Wie einE EinwohnerIn den Konflikt um Neuenfelde empfindet
Bis vor kurzem war dieses kleine Dorf am südwestlichen Zipfel Hamburgs den meisten BürgerInnen der Stadt unbekannt. Doch das ist anders, seit Senat und Airbus sowohl mit ihrem Planfeststellungsverfahren zur Landebahnverlängerung als auch ihrem Enteignungsgesetz vor Gericht scheiterten. Seit die Airbus-Zentrale in Toulouse ein Ultimatum zur Sicherung der Landebahnverlängerung in den Ort hinein stellte. Seitdem ist Neuenfelde ein Ort im Ausnahmezustand.
Fotomontagen mit der Konterfei eben noch ganz normaler Nachbarn schmücken die Titelseiten der lokalen wie überregionalen Tagespresse. Bitterböse Leserbriefe die Innenseiten. Unbekannte, Ortsfremde, teilweise offenbar Uninformierte bekunden völliges Unverständnis, Entsetzen, ja Verachtung. Weil Menschen ihr Eigentum, dass seit Generationen im Familienbesitz ist, nicht veräußern wollen. Obwohl sie damit (nicht nur) ihre eigene Wohnqualität zerstören würden.
Andere Menschen drohen mit dem Austritt aus der Kirche, wenn die Neuenfelder Gemeinde ihr relevantes Grundstück nicht verkauft. Wieder andere Menschen drohen mit dem Austritt aus der Kirche, wenn die Neuenfelder Gemeinde ihr relevantes Grundstück verkauft.
Der Betriebsrat von Airbus appelliert in einem offenen Brief an die Landwirte, ihre ertragreichen Flächen doch bitte zu verkaufen. Die Kinder der Mitarbeiter wollten doch auch Flugzeugbauer werden. Was mit den Kindern der Landwirte wird, die auch noch Obstbauern werden wollten, scheint da nebensächlich.
Das Unternehmen selbst bietet Geld: einen Fonds von drei Millionen Euro wolle man dem Dorf „als Ganzes“ stiften. Wer sollte diesen Fonds verwalten? Neuenfelde ist kein anarchistischer Freistaat, hat keine weltliche Gemeindeversammlung und keinen eigenen Bürgermeister. Politisch gehört es zu Süderelbe.
Die Dorfbewohner beginnen, sich gegenseitig ob der Pros und Contras zu zerfleischen. Viele sind Landwirte. Viele andere arbeiten bei Airbus. Wahllos, offenbar nach Zufallsprinzip aus dem Telefonbuch ausgewählt, werden sie zudem angerufen. Von „Widerstandsunterstützern“, Airbus-Anhängern, Journalisten.
Überhaupt, Journalisten. Seit Monatsanfang streichen diverse Exemplare dieser Gattung durchs Dorf und befragen, fotografieren oder filmen alles und jeden. In konzentrierter Form findet man sie an den beiden Epizentren der Ablehnung: dem Obsthof von Gabi Quast, der Vorsitzenden des Schützbündnisses für Hamburgs Elbregion, und rund um die St. Pankratiuskirche zu Neuenfelde. Dort mutiert die Bauernküche zum Pressezentrum, werden mehr Anfragen bearbeitet als warme Mahlzeiten gekocht. Da werden Gemeindebüro und das angrenzende Pastorenwohnhaus regelrecht belagert, bis selbst dem sonst sehr ausgeglichenen jungen Pastor der weiße Kragen platzt und Pressevertreter des Hauses verwiesen werden.
Eine Kirchenvorstandssitzung – sie sollte eigentlich der Neubesetzung der JugenddiakonInstelle dienen – erhält den Presserummel einer gehobenen Filmpreisverleihung. Ebenso wie einige Tage später ein Gespräch zwischen Bürgermeister von Beust und einigen NeuenfelderInnen, von denen jedoch keiner Kläger oder Verkäufer ist.
Die Mitglieder des Kirchenvorstands jedenfalls entscheiden erneut gegen einen Verkauf des Gemeindelandes. Und sind am nächsten Tag in der senatsgewogenen Tagespresse zu sehen. Mit Fotos. Mit vollem Namen. Ungefragt, unerbeten. Anonymisierende Gesichtsbalken, wie sie selbst Schwerstverbrecher erhalten, gibt es für diese Ehrenamtlichen nicht. Bewusst werden sie als Sündenböcke präsentiert. Für ein Problem, dass keiner von ihnen zu verantworten hat.
„Verhandlungstermin war im Februar“, so der ehemalige Neuenfelder Pastor Dr. Helmut Roscher, der sich immer noch im Konflikt mit der Stadt und den Flugzeugbauern engagiert. „Im Februar“, da lief das Planfeststellungsverfahren zur Landebahnverlängerung. Was viele geahnt, einige relativ sicher gewusst und der Senat stets bestritten hatte, lag nun als Antrag vor. Doch die Verhandlungen über die Planfeststellung wurden von Stadtseite für beendet erklärt, nachdem die versammelte Einwenderschaft aus Protest gegen Ungereimtheiten im Verfahrensablauf den Raum verlassen hatte.
Die Stadt kaufte seither eifrig weiter Häuser und Grundstücke in Neuenfelde auf. Das tut sie seit vielen Jahren. Ohne dabei müde zu werden zu beteuern, man arbeite keinesfalls auf eine Landebahnverlängerung oder gar Dorfzerstörung hin. Trotzdem der Versuch, quasi bei Nacht und Nebel an Himmelfahrt den Neuenfelder Hauptdeich einzureißen. Auch hier: Vertrauensbrüche über Unsensibilitäten. Nach 1962 ist man vor allem in Neuenfelde sehr eigen, was den Hochwasserschutz angeht.
In seiner Stadt so kläglich gescheitert, begibt sich Ole von Beust Anfang Oktober nach Toulouse, nur um sich weitere Schelte abzuholen: Airbus-Chef Noël Forgeard befiehlt dem Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Deutschlands, nach Hause zu fahren und die Landebahn hinzubekommen, und zwar tout de suite. Ole widerspricht nicht. Er fährt brav heim und setzt lieber seine eigenen, widerspenstigen Bürger unter Druck als den freundlichen, frechen Franzosen. Der Arm der Wirtschaft ist wahrlich lang geworden.
Und ein ganzer Ort hat darunter zu leiden. Egal, wie der Streit um die Landebahn ausgeht: Neuenfelde hat verloren. So oder so.
Der/die AutorIn möchte ungenannt bleiben. Seine/ihre Identität ist der Redaktion bekannt.