: „Wir wurden nicht so gefeiert wie Obama“
PEER STEINBRÜCK, 62, ist Bundesfinanzminister und nach Angela Merkel gegenwärtig das wichtigste Mitglied des Bundeskabinetts. Eigentlich ein wirtschaftsfreundlicher Sozialdemokrat, sieht Steinbrück seit Jahren, dass die zunehmende soziale Polarisierung den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährdet. Deshalb plädiert der studierte Volkswirt und ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen dafür, mehr Geld in Bildung als Mittel für sozialen Aufstieg zu investieren.
INTERVIEW HANNES KOCH UND MALTE KREUTZFELDT
taz: „Sehr begrenzt“ würden die Auswirkungen der Lehman-Pleite in Deutschland sein, haben Sie im letzten taz-Interview Mitte September gesagt. Haben Sie damals Sicherheit simuliert oder wirklich daran geglaubt?
Peer Steinbrück: Man kann nur das wiedergeben, was man als Informationsstand hat. Die gesamte spätere Entwicklung der Finanz- und Wirtschaftskrise habe ich nicht in dieser Tiefenschärfe sehen können, wie übrigens auch Tausende anderer Fachleute, Banker und Journalisten nicht.
Fühlen Sie sich manchmal hilflos angesichts der Wucht der Ereignisse?
Nein, nicht hilflos. Ich glaube, wir haben Schlimmeres verhindert. Wir haben richtige Antworten auf die Krise gegeben – national und international. Ob diese Antworten allerdings zureichend sind für die notwendige Vertrauensbildung auf den Finanzmärkten, wird sich erst noch herausstellen.
Die Politiker in Deutschland hätten in den vergangenen Jahren zu sehr der marktradikalen Ideologie angehangen, räumten Sie kürzlich ein. Welche Fehler haben Sie selbst gemacht?
Soll ich jetzt „mea culpa“ rufen?
Nein, wir hoffen nur auf Ehrlichkeit.
Seit den Neunzigerjahren ist von vielen das marktradikale Modell, das Paradigma der Deregulierung, vorangetrieben worden – von Managern, der Wirtschaft, Wissenschaftlern und nicht zuletzt auch von vielen namhaften Teilen der Wirtschaftspresse. Selbstkritisch gesprochen: Dem hat sich die Politik zu lange ergeben. Wir haben uns der angloamerikanischen Definitionshoheit zu wenig widersetzt. Aber daraus jetzt ein Politik- und Staatsversagen zu konstruieren, wie es etwa die FDP tut, ist eine Frechheit. Wenn jemand dieser Marktideologie aufgesessen ist und sich gegen jedwede Regulierung gewandt hat, dann doch wohl die FDP.
Die Koalition aus SPD und Grünen hat es 2003 ermöglicht, dass deutsche Privatanleger sich hierzulande an risikoreichen Hedgefonds beteiligen konnten. Würden Sie das heute als falsch bezeichnen?
Eindeutig nein. Weil unsere Nachbarländer solche Fonds genehmigten, konnten wir Deutschland doch nicht auf den Stand der Geldwirtschaft des 15. Jahrhunderts zurückwerfen. Es kommt darauf an, welche Spielregeln man für diese Fonds vereinbart, wie man sie reguliert.
Die Europäische Kommission plant, dass Hedgefonds künftig staatlich beaufsichtigt werden. Ist das in Ihrem Sinne?
Der EU-Entwurf enthält Richtiges, greift aber zu kurz. Ich will die Fonds verpflichten, bei ihren Geschäften mehr eigenes Geld einzusetzen und Risiken auf ihrer Bilanz zu halten. Das würde sie vorsichtiger machen. Aber ich fürchte, dass wir an diesem Punkt noch viele Diskussionen mit den Briten haben werden, die da laxer herangehen.
Der große G-20-Gipfel, das Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, vergangene Woche in London ist von den Beteiligten als großer Erfolg gefeiert worden. Sind Sie mit dem Ergebnis wirklich zufrieden?
Ich bin nicht euphorisch. Aber in der Tat haben wir Vereinbarungen getroffen, die ich vor einem Dreivierteljahr nicht für möglich gehalten hätte.
Für Ihre scharfen Worte gegen Steueroasen und die Forderung nach einer schwarzen Liste haben Sie im Vorfeld viel Ärger bekommen. Nun wurde auf Druck der G 20 tatsächlich eine Liste veröffentlicht, aber da standen nur vier Länder drauf, die nicht gerade zu den problematischsten Steueroasen gehören. Und selbst die sind inzwischen wieder gestrichen worden. Ist das nicht ein mageres Ergebnis, das lediglich Aktivität simuliert?
Durchaus nicht. Schließlich hat ja schon die Drohung mit der Liste gewirkt. In den vergangenen drei, vier Wochen haben sich jede Menge Steueroasen bei uns gemeldet, die plötzlich die Transparenzstandards der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, anerkennen wollten. So haben sie sich von der schwarzen auf eine graue Liste derjenigen Länder gerettet, die Besserung geloben, dies aber noch nicht umgesetzt haben.
Gegen die nicht kooperativen Länder soll es Sanktionen geben. Gilt das nur für die, die auf der schwarzen Liste stehen, oder auch für die Staaten der grauen Liste?
Man muss diesen Ländern die Chance geben, ihre Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Das mahne ich aber auch an.
Und wie viel Zeit geben Sie ihnen?
Jedenfalls nicht fünf Jahre. Das muss möglichst schnell gehen.
Auch auf nationaler Ebene planen Sie Sanktionen für Firmen, die in Steueroasen aktiv sind. Aber die Union blockiert das. Meinen Sie, dass sich daran etwas ändert – jetzt, wo sich auch Angela Merkel in London so für diese Liste eingesetzt hat?
Nein. Ich fürchte, dass es dabei bleibt: Die Union spitzt nur die Lippen, aber sie pfeift nicht. Mein Gesetzentwurf sieht Maßnahmen vor, die es in anderen Ländern bereits gibt. Dahinter dürfen wir nicht zurückbleiben.
Ein weiteres Problem an der Einigung ist, dass die OECD-Kriterien sehr eng sind. Informationen über Steuerflüchtige müssen nur im Einzelfall und bei konkretem Verdacht weitergegeben werden. Die meisten Steuerhinterzieher, bei denen die Finanzämter nicht genau wissen, wo das Geld liegt, kommen ungeschoren davon.
Trotzdem sind diese Kriterien gegenüber dem Status quo ein eminenter Fortschritt. Auch dadurch werden schon mögliche Steuerhinterzieher abgeschreckt. Man darf auch keine irrealen Erwartungen haben: Mit manchen Ländern wird man nicht gleich im ersten Schritt einen automatischen Informationsaustausch hinbekommen.
Den USA ist es aber gelungen, von der Schweiz mehr Informationen zu bekommen, als die OECD-Kriterien vorschreiben.
Das stimmt. Darum werde ich auch meinen Schweizer Kollegen fragen, ob er ein Mitgliedsland der EU anders behandeln will als die USA.
Bisher sind selbst Institute wie die Commerzbank, die jetzt ja zum Teil dem Staat gehört, noch in Steueroasen aktiv. Wäre es nicht notwendig, das als Erstes zu verhindern, wenn man im Kampf gegen Steuerflucht glaubwürdig sein will?
Die Antwort lautet: Ja.
Und was gedenken Sie zu tun?
Wir haben bereits die ersten Schritte eingeleitet. Alles Weitere werden die nächsten Wochen zeigen.
Genauer geht das nicht?
Ich kündige hier nichts an, sonst habe ich nur wieder einen Tag Aufräumarbeit. Aber ich sage Ihnen: Wir werden uns um diesen Missstand kümmern.
Uns scheint, der G-20-Gipfel hat überwiegend die Symptome, nicht die Ursachen der Krise bearbeitet. Kaum ein Finanzprodukt, das die Krise auslöste, wurde bislang verboten. Müsste man nicht eine Art TÜV einführen, um Wertpapiere zu testen, bevor sie auf den Markt losgelassen werden?
Ja, wir bräuchten eine Art Zulassungsstelle für Finanzprodukte – so ähnlich wie bei der Überprüfung von Arzneimitteln. Aber das ist sehr schwer umzusetzen. Denn diverse Leute denken sich Finanzmarktprodukte nicht nur in Deutschland aus, sondern auch weltweit. Beim Versuch, diese zu erfassen, stoßen Sie sofort an institutionelle und administrative Grenzen. Trotzdem: Der Gedanke ist nicht falsch.
Ein anderes Thema, das beim G-20-Gipfel nicht vorkam, waren die internationalen Handelsungleichgewichte. Dabei waren diese mitverantwortlich für die Krise.
Das ist richtig. Aber das geht ans Eingemachte, denn niemand ist wirklich bereit, selbstkritisch über den eigenen Beitrag zu diesen globalen Ungleichgewichten zu reden. Die Amerikaner tragen mit ihren enormen Defiziten und dem damit verbundenen Bedarf an Kapitalimporten dazu bei, die Chinesen mit ihrer unterbewerteten Währung, aber auch die Deutschen mit ihrer Exportorientierung und dem deutlichen Außenhandelsplus, das natürlich anderswo zu einem Minus führt. So weit ist die Debatte noch nicht.
Und werden Sie das ändern?
Himmel, wir sind froh, dass die Themen jetzt auf die Agenda kommen. Wir sollten den Rucksack nicht zu voll laden – in einer massiven Krise, aus der wir noch nicht heraus sind.
Ebenfalls kaum debattiert wird derzeit die Frage, wer die Rettungspakete später bezahlen soll. Müssten Sie sich nicht dafür einsetzen, dass diejenigen, die im Boom besonders profitiert haben, in der Krise auch besonders zur Kasse gebeten werden?
Das ist eine Stimmung, die es in der Bevölkerung gibt. Das ist nachvollziehbar, und ich nehme das sehr ernst. Angesichts der sittenwidrig hohen Abfindungen der Manager auf der einen und der sittenwidrig niedrigen Löhnen auf der anderen Seite haben viele Menschen das Gefühl, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Und zwar zu Recht.
Aber was tun Sie dagegen?
Bei der Bundestagswahl wird auch darüber entschieden, wie die künftige Einkommensbesteuerung in Deutschland aussehen wird. Ohne dass ich da Beschlüssen meiner Partei vorgreifen will, glaube ich, dass die SPD die Steuern im oberen Bereich angehen wird – sowohl bei den Sätzen als auch bei den Einkommensgrenzen.
Was heißt das genau?
Ich gehe davon aus, dass es mehrheitsfähig ist, die Reichensteuer von heute 45 Prozent zu erhöhen. Parallel sollte die Einkommensgrenze sinken, ab der sie erhoben wird. Bisher gilt der höchste Satz erst ab 500.000 Euro für Verheiratete und 250.000 Euro für Singles. Dieser Wert kann verringert werden – sofern wir klar machen, wofür wir das Geld brauchen, vornehmlich für Bildung.
Aber an der 90-Prozent-Steuer, die US-Präsident Barack Obama für Bonuszahlungen an Pleite-Banker plant, wollen Sie sich nicht orientieren?
Das muss ich gar nicht. Wir haben das nämlich früher gelöst: Bei uns sind bei Banken, die Staatshilfe in Anspruch nehmen, Managergehälter auf 500.000 Euro gedeckelt und Bonuszahlungen ausgeschlossen. Das haben wir Monate vor Obama gemacht, sind allerdings dafür nicht ganz so gefeiert worden.