: Stichwahl in der Ukraine nötig
Nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen liegen Premier Janukowitsch und sein Herausforderer Juschtschenko fast gleichauf. Opposition: Massive Fälschungen
BERLIN taz ■ Die Ukrainer müssen am 21. November erneut an die Urnen: Beim ersten Durchgang der Präsidentenwahlen am vergangenen Sonntag erreichte laut Angaben der Zentralen Wahlkommission und nach Auszählung von 94,24 Prozent der Wahlzettel der Favorit des scheidenden Staatschefs Leonid Kutschma, Premierminister Wiktor Janukowitsch, 40,12 Prozent der Stimmen. Sein Kontrahent und Chef des wichtigsten Oppositionsbündnisses „Unsere Ukraine“, Wiktor Juschtschenko, kam auf 39,15 Prozent der Stimmen. Für den Sozialisten Olexander Moros und den Kandidaten der Kommunistischen Partei, Petro Simonenko, stimmen jeweils rund fünf Prozent der Wähler. Die Wahlbeteiligung lag bei 75 Prozent.
„Die Demokratie hat gewonnen“, sagte der prowestlich orientierte Juschtschenko in einem ersten Kommentar und: „Die Menschen haben gezeigt, dass dieses Regime geschlagen werden kann.“ Demgegenüber verwies Janukowitsch, für den Russlands Präsident Wladimir Putin noch in der vergangenen Woche in Kiew eifrig Wahlkampf betrieben hatte, auf den gestiegenen Lebensstandard vieler Ukrainer. Dass eins seiner Wahlkampfbonbons, eine Verdoppelung der Renten, auch mitverantwortlich für einen massiven Preisanstieg ist, sagte Janukowitsch nicht.
Trotz des guten Abschneidens von Juschtschenko, der wegen einer mysteriösen Krankheit sechs Wochen keinen aktiven Wahlkampf machen konnte und von den staatlichen Medien fast komplett ignoriert wurde, ist die Opposition von Fälschungen zuungunsten ihres Kandidaten überzeugt. So gab es gestern Spekulationen, nach denen Juschtschenko bis zu 50 Prozent der Stimmen erhielt, Janukowitsch jedoch nur rund 30 Prozent.
Bereits am Wahltag hatten internationale Beobachter von zahlreichen Verstößen gegen das Wahlgesetz berichtet. So seien vielerorts die Wählerverzeichnisse unvollständig gewesen und die Betroffenen dadurch an einer Stimmabgabe gehindert worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Unian sei mehr als 100 Mitgliedern der regionalen Wahlkommissionen der Zugang zu den Wahllokalen im Westen des Landes – eine Hochburg der Opposition – verwehrt worden.
Einmal abgesehen von der Frage, ob das Niveau des schmutzigen Wahlkampfes in den kommenden drei Wochen noch unterboten werden kann, könnte für die Stichwahl entscheidend werden, auf wessen Seite sich die Wähler von Moroz und Simonenko schlagen. Zudem könnte die Staatsmacht jetzt versucht sein, eine Verfassungsreform, die die Kompetenzen des Parlaments zuungunsten des Präsidenten erweitert, noch schnell durch die zuständigen Gremien zu pauken.
Offen ist auch, ob Russlands Staatschef Wladimir Putin sich noch einmal zu einem Nachbarschaftsbesuch aufraffen wird, um für Janukowitsch zu werben. Süffisant bemerkte dazu der russische Politologe Leonid Radschichkowski in einem Interview mit einem Moskauer Radiosender: „Die gesamte russische Regierung, angefangen mit dem Präsidenten, wird sehr dumm dastehen, wenn Juschtschenko mit großer Mehrheit gewinnen sollte.“ BARBARA OERTEL