: Eine Anwältin ohne Angst um ihre Gesundheit
Radhia Nasraoui fordert Tunesiens Regime heraus – mit einem Hungerstreik für die Achtung der Menschenrechte
Die tunesische Menschenrechtsanwältin Radhia Nasraoui will nicht aufgeben. Selbst nach zwei Krankenhauseinweisungen verweigert sie weiter die Nahrungsaufnahme. Die 46-Jährige protestiert mit ihrem mittlerweile fünf Wochen dauernden Hungerstreik gegen „die ständigen Schikanen gegen meine Familie und meine Klienten“. Ihre Anwaltskanzlei wurde mehrfach durchsucht, die Telefone abgehört und ihre Tochter bedroht.
Nach Angaben der Ärzte hat Nasraoui elf Kilo verloren. Sie weist starke neurologische Störungen auf und zeigt Anzeichen von Dehydration. „Ihr Gesundheitszustand ist schwer geschädigt und dramatisch“, sagt ihr Ehemann Hamma Hammami.
Es ist nicht der erste Hungerstreik Nasraouis. Die Anwältin, die eng mit amnesty international zusammenarbeitet, verweigerte im Frühsommer vergangenen Jahres 37 Tage lang jedwede Nahrungsaufnahme. Damals protestierte sie gegen die Haftstrafe ihres Ehemannes. Hammami ist Vorsitzender der Tunesischen Kommunistischen Arbeiterpartei (POCT). Jahrelang lebte er im Untergrund. Dann wurde er doch geschnappt. Auch Nasraouis Verteidigung konnte sine Verurteilung zu drei Jahren und neun Monaten Haft nicht verhindern. Ihm und zwei seiner Genossen wurde „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ vorgeworfen. „Der Prozess war eine Parodie“, urteilten nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen. Der Hungerstreik seiner Ehefrau und Verteidigerin sowie internationale Proteste bewirkten schließlich Hammamis Freilassung auf Bewährung. Die Schikanen, die die Familie seither aushalten muss, trieben Nasraoui jetzt erneut in den Hungerstreik.
Die streitbare Anwältin gehört zu den wenigen Rechtsbeiständen, die sich in Tunesien noch trauen, politische Gefangene zu verteidigen. Die Arbeit geht ihr nicht aus. In Tunesiens Gefängnissen sitzen nach Angaben von amnesty international rund 1.000 politische Gefangene. Bei den meisten handelt es sich um gewaltlose politische Gefangene aus der radikalen Linken und dem Umfeld der seit Ende der 80er-Jahren verbotenen islamistischen Partei En-Nahda. Viele der Häftlinge befinden sich seit über zehn Jahren in staatlichem Gewahrsam. Die Familien der Gefangenen werden häufig schikaniert, und man verweigert ihnen ihre Grundrechte. Außerdem setzten die Behörden alles daran, zu verhindern, dass ehemalige Gefangene nach ihrer Freilassung wieder ein normales Leben führen können.
„Ich werde weitermachen, bis ich eine Antwort von den Behörden auf meine Forderungen erhalte“, bekräftigte Nasraoui in den letzten Tagen. Das Regime des 1987 an die Macht gekommen tunesischen Diktators Ben Ali lässt sich bisher weder vom Hungerstreik noch vom Gesundheitszustand der Menschenrechtlerin beeindrucken. Nasraoui erhebe „Anschuldigungen ohne jede Grundlage“, heißt es in einer Erklärung gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. REINER WANDLER