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Archiv-Artikel

Trotz leerer Ränge kocht Tottis Blut

Beim publikumslosen 1:1 Bayer Leverkusens im römischen Olympiastadion gegen den AS Rom sorgt Francesco Totti mit erneuten Amokläufen für die Emotionen in einer ansonsten weitgehend sterilen Champions-League-Partie

ROM taz ■ Die Schreie vom anderen Ende des Rasens hallten durch das weite Rund des Stadio Olimpico: „Haltet den Ball! Ran an den Mann!“ Mit lautstarken Rufen versuchte Torwart Hans-Jörg Butt die Stürmer seiner Mannschaft an das Gebot der letzten Minuten dieser wichtigen Champions-League-Partie beim AS Rom zu erinnern – über rund 80 Meter hinweg. Bayer Leverkusen führte, da die Groteske allmählich dem Ende zustrebte, schließlich nach dem Treffer Dimitar Berbatows (82.) mit 1:0. Es lockte das Ende von zuletzt zwölf sieglosen Auswärtsspielen in Serie, noch dazu die Tabellenführung in der Gruppe B.

Nun vernahmen selbst Berbatow, Krzynowek & Co. zwar problemlos die Aufforderungen ihres engagierten Keepers, sogar auf der unter dem Stadiondach gelegenen Pressetribüne kam jede Silbe deutlich an. Doch es half nichts, Rom kam in der Nachspielzeit durch Montella noch zum Ausgleich. Klaus Augenthaler freute sich trotzdem über den bereits sicheren dritten Platz, der zumindest den Verbleib im Uefa-Cup-Wettbewerb ermöglicht. „Ich gehe davon aus, dass wir im letzten Heimspiel gegen Kiew gewinnen und ins Achtelfinale einziehen“, sagte der Bayer-Trainer außerdem. Andererseits nervte ihn der späte Gegentreffer: „Klar ist man sauer als Trainer, normalerweise muss man das über die Bühne bringen, aber was ist schon normal im Fußball?“

Die „eigenartige Atmosphäre“ im menschenleeren Stadion, die Augenthaler konstatierte, war es jedenfalls nicht. Für ihn, der 14 Jahre zuvor im gleichen Rund vor rund 73.000 Zuschauern Weltmeister geworden war, musste das Geschehen besonders bizarr wirken. Von seiner Bank aus schaute er auf 19 stumme Stewards, die auf der verlassenen Gegengeraden für Ordnung sorgen sollten. In der berüchtigten „Curva Sud“, von der aus die fanatischen Tifosi gewöhnlich Flüche auf den Gegner schleudern, verlor sich keine Menschenseele. Lediglich von der Haupttribüne verfolgten rund 80 Menschen in dunklen Anzügen im VIP-Bereich, dahinter rund 100 akkreditierte Journalisten dieses Geisterspiel, das die Uefa angeordnet hatte, nachdem der schwedische Schiedsrichter Anders Frisk im letzten Heimspiel der Römer gegen Dynamo Kiew von einer Münze getroffen zusammengebrochen war. In drei Wochen gegen Real Madrid muss der AS Rom, der so gut wie ausgeschieden ist, ebenfalls vor leeren Rängen antreten.

Das erste Mal in der Geschichte der Champions League also fand eine Partie ohne Zuschauer statt, und natürlich musste diese Premiere zur Farce geraten. Es war über weite Strecken ein Fußballspiel wie unter einem Reagenzglas: ein klinisch reines, steriles Produkt, frei von äußeren Einflüssen, langweilig und trist. Das zeigte dieses Experiment auf höchstem Niveau einmal mehr: Das Gesamtkunstwerk Fußball gerät ohne die Begeisterung und Hingabe der Fans zu einem profanen Akt. Was nützt das Tor Berbatows, diese einzige bezaubernde Miniatur während der gesamten 90 Minuten, wenn es nicht von Tausenden bestaunt, beklatscht und schließlich kommentiert und nach dem Stadionbesuch in den schönsten Farben wiedererzählt wird?

Kein Wunder also, dass ein derart „entladenes“ Spiel zunächst niveauarm dahingeplätschert war. Ein paar Distanzschüsse, einer davon durch Montella an den Außenpfosten – das war’s. Erst die Fortsetzung der Vorgeschichte vom Hinspiel, als zwei Römer nach brutalen Fouls vom Platz gestellt worden waren und ihre Mannschaft in der europäischen Fußballpresse als disziplinloser Trümmerhaufen beschrieben wurde, produzierte schließlich Emotionen. Nach der ungeahndeten Tätlichkeit von Francesco Totti, der in Minute 72 mit den Stollen zuerst auf den am Boden liegenden Ramelow gesprungen war und danach den Unschuldsengel mimte, erwachte nämlich diese Begegnung aus ihrem Tiefschlaf. Die Spieler waren außer sich, nun spendeten gar die wenigen Offiziellen im VIP-Bereich manchmal Beifall. „Er hätte Totti vom Platz stellen müssen“, befand Augenthaler, da der Ball bereits weit weggewesen sei: „Da hat nur der Ramelow drunter gelegen.“ Der Blessierte selbst erschrak über die Szene erst, als er die Bilder sah: „Ich habe noch Glück gehabt, so wie der auf mich raufgesprungen ist.“

Im Kabinengang ging Totti dann auf Robson Ponte los, das Blut des Römers kochte trotz der Leere auf den Rängen. Was hätte er wohl vor einer vollbesetzten Arena angestellt? Vielleicht hatte der Ausschluss der Zuschauer doch etwas für sich. ERIK EGGERS