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Archiv-Artikel

Parlament muss Wahlrecht ändern

Jurastudent erzielt Achtungserfolg vor dem Staatsgerichtshof: Bremerhavener dürfen bei Wahlen nur ein bisschen bevorzugt werden. Für künftige Wahlen gilt: Statt bisher 16 darf Fischtown nur noch 15 von 83 Abgeordneten in der Bürgerschaft stellen

Bremen taz ■ Das Bremer Wahlrecht muss an die Bevölkerungsentwicklung in Bremen und Bremerhaven angepasst werden und darf die Bremerhavener WählerInnen nicht unverhältnismäßig bevorzugen. Das urteilte gestern der Bremer Staatsgerichtshof und folgte damit zumindest im Prinzip und für die Zukunft der Argumentation eines Bremer Jurastudenten. Wilko Zicht hatte bemängelt, dass bei der Bürgerschaftswahl 2003 Abgeordnete aus Bremerhaven deutlich weniger Stimmen für einen Sitzplatz in der Bürgerschaft benötigten als ihre Parteigenossen aus Bremen – weil die Sitzverteilung von 67:16 nicht dem tatsächlichen Verhältnis der Wahlberechtigten entsprochen habe.

Dem hat der Staatsgerichtshof jetzt einen Riegel vorgeschoben. Zwar dürfe der verfassungsmäßige Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit auch eingeschränkt werden, um etwa bei einer Verkleinerung der Bürgerschaft die „rechtlich-politische Eigenart des Landes Bremen als Zwei-Städte-Staat“ zu sichern – allerdings nicht grenzenlos. Der so genannte Erfolgswert einer Stimme, also das Verhältnis von Abgeordneten zu Wählern innerhalb eines Wahlbereichs, dürfe vielmehr maximal um fünf Prozent nach oben oder unten vom Landesdurchschnitt abweichen, urteilten die Richter. Legt man die Bevölkerungszahlen von 2000 zugrunde, die bei den Beratungen über die Wahlrechtsreform im Jahr 2001 gültig waren, war dieses Kriterium bei der letzten Bürgerschaftswahl noch erfüllt: Die Bremerhavener Kreuzchen waren 3,7 Prozent mehr, die Bremer 0,9 Prozent weniger wert als alle Voten im Landesdurchschnitt. Die Wahl und die aktuelle Zusammensetzung der Bürgerschaft sei also nicht zu beanstanden.

Spätestens beim nächsten Urnengang dürfte die Sitzplatzverteilung von 67:16 zwischen Bremen und Bremerhaven nach dem gestrigen Urteil allerdings nicht mehr zulässig sein. Inzwischen nämlich hat Bremerhaven kräftig an EinwohnerInnen verloren. Würde morgen die Bürgerschaft neu gewählt, wären die Bremerhavener Wählerstimmen 5,3 Prozent mehr wert als alle Voten im Landesdurchschnitt. Dem müsse der Gesetzgeber Rechnung tragen, forderten die Richter – und das Wahlrecht der demographischen Realität anpassen. Die ParlamentarierInnen der großen Koalition hatten die Bevorzugung der WählerInnen aus der Seestadt 2001 ausdrücklich und entgegen dem Votum von Experten abgesegnet.

Bürgerschaftspräsident Rainer Oellerich zeigte sich zufrieden mit dem Urteil. Die Richter hätten eine klare Grenze gesetzt, bis zu welchem Ausmaß Wahlungerechtigkeiten noch vertretbar seien, sofern sie gut begründet würden. Jetzt werde man „neu rechnen müssen“. Dass die Zahl der Abgeordneten in der Bürgerschaft insgesamt wieder erhöht wird, hält Oellerich dabei für eher unwahrscheinlich. Demnach bleibt nur die Möglichkeit, Bremerhaven einen seiner 16 Sitze im Parlament zu nehmen und diesen Bremen zuzuschlagen– genauso, wie es übrigens auch die Wahlrechtsexperten aus dem Innen- und Justizressort bereits 2001 gefordert hatten.

Unklar ist noch, welche Auswirkungen der Richterspruch auf die geplante grundlegende Wahlrechtsreform auf Basis des Gesetzentwurfs der Bürgerinitiative „Mehr Demokratie“ (taz vom 5. 11.) hat. Je nachdem, wie die geplanten Wahlkreise zugeschnitten und die Direktmandate zugeordnet werden, könnten die Unterschiede beim Stimmengewicht noch um einiges größer ausfallen. Armin Simon