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Archiv-Artikel

PRESS „PLAY“!

Am Anfang war Stille. Genau genommen der Song „Silence Is Golden“ mit diesem Falsett im Refrain. Am Anfang war also der Ohrwurm. Eine Melodie, mit der ich mich irgendwie infiziert haben muss, obwohl die Kassette schlampig aufgenommen war und der armselige Rekorder in meinem Kinderzimmer gerade mal zur Wiedergabe von Hörspielkassetten taugte.

Egal, dieser Refrain steckte in meinem Kopf und wollte nicht mehr raus. Der TPS-L2 von Sony, gebraucht gekauft vom Taschengeld, war daher gleich eine doppelte Offenbarung. Erstens boten die Stereo-Kopfhörer eine ungeahnte Klangtreue, zweitens konnte ich meinen Ohrwurm plötzlich Gassi führen. Mich verzauberte der Effekt und seine Macht, dem Alltag einfach den Ton abzudrehen und ihn durch akustische Kostbarkeiten zu ersetzen, die zuvor nur ortsgebunden erfahrbar waren.

Das war eskapistisch, klar, nicht eben kommunikativ und alles in allem recht kindisch. Trotzdem mag ich bis heute nicht auf die zauberhafte Möglichkeit verzichten, meine Stimmungen immer und überall mithilfe musikalischer Stimuli selbsttätig zu regulieren. Musik als parapharmazeutische Selbstmedikation, sozusagen.

Auch wenn mein mobiler Musikkonsum nicht mehr so chronisch ist wie früher: Der Walkman als akustischer Schutzschild bleibt unverzichtbar. In jedem ICE-Großraumabteil gibt es immer einen armen Irren, der alle übrigen Fahrgäste mit pumpenden House-Beats behelligt. Das geht noch. Es geht nicht mehr, wenn ein anderer Passagier die Kopfhörer aufsetzt, um sich in seine Musik zurückzuziehen. Gegen die Kakofonie sich überlagernder Rhythmen hilft nur noch der Rückzug in die eigene Blase – auch wenn dadurch für andere Fahrgäste die Lage vollends aussichtslos wird. Was soll’s, die Welt ist kalt, das Leben hart.

Kann sein, dass ich wegen ruinierter Flimmerhärchen irgendwann beim Ohrenarzt lande – kann aber auch sein, dass mir der Walkman den Gang zum Psychotherapeuten erspart hat.

ARNO FRANK