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Archiv-Artikel

Cry for me, Argentina

Ein Schocker für jeden Wohlstandsbürger: Heidi Frankl und Steen Mayer sind nach Buenos Aires geflogen – mal schauen, ob man nicht einen Dokumentarfilm drehen kann. Das Resultat, „Wir kämpfen fragend“, widmet sich den Unruhen von 2001

von SILVIA HELBIG

Heidi Frankl und Steen Meyer haben einen Dokumentarfilm gedreht. Gedrängel bei der Premiere im Kino Central in den Hackeschen Höfen. Das Publikum: schick gekleidete Freunde der beiden, die sich über ihre Jobs in Düsseldorf unterhalten. Warum sie sich einen Dokumentarfilm über Argentinien ansehen wollen? Na, weil sie Heidi Frankl und Steen Meyer kennen. Was sie noch nicht wissen: dass der Film auch für sie interessant werden könnte. Die Dokumentation „Wir kämpfen fragend“ zeigt, worum es den Menschen in Argentinien und auch den Bekannten von Heidi Frankl und Steen Meyer geht: um Arbeit und nicht zuletzt um ihre Abwesenheit.

Seit zwei Jahren ist Argentinien sehr nahe. Was dort im Dezember 2001 geschah, ist der Albtraum jedes gut situierten Westeuropäers. Das ehemals reiche Land machte über Nacht Pleite, der Staat kassierte die Ersparnisse seiner Bürger, zahlte keine Renten mehr und schloss die Fabriken. Ein Schocker für jeden Wohlstandsbürger: Wenn so etwas in Argentinien passieren kann, einem Land, das Armut nur aus dem Fernsehen kannte, dann doch nicht etwa auch bei uns?

Seit dem Volksaufstand ist das Land zu einem politischen und sozialen Experimentierfeld geworden. Globalisierungskritiker erwählten Argentinien zu ihrem Mekka. So auch Steen Meyer, Attac-Aktivist und Student aus Köln, der eigentlich nur eine wissenschaftliche Arbeit über die sozialen Bewegungen nach der Revolution schreiben wollte. Und Heidi Frankl, Studentin für Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation aus Berlin, die zur gleichen Zeit an einem Dokumentarfilm mitarbeiten will. Am liebsten im Ausland. Ihr Bekannter Steen Meyer schlägt vor, die Ereignisse in Argentinien gemeinsam zu dokumentieren, und so fliegt sie, die aussieht, als sei sie eher an Mode als an Politik interessiert, mit geborgter DV-Kamera für sechs Wochen nach Buenos Aires. Eine Zeit, die, wie sie heute sagt, ihr Leben verändert hat: „Ich hatte vor Argentinien schon immer das Gefühl, mich sozial engagieren zu wollen. Mein Studium ist da unbefriedigend. Da lern ich, Zeug zu verkaufen. Marketing halt.“

Nach ihrem Aufenthalt in Argentinien liest Heidi Frankl nun die Fibeln der Globalisierungskritiker und war bei der G-8-Gegendemonstration in Evian. Dennoch scheint sie sich nicht zum harten Kern der Engagierten zu rechnen. Sie spricht von den „Attacis“, nicht von „wir“ oder „uns“. Sie scheint gerade so politisch aktiv, wie man sich selbst an den wagemutigsten Tagen fühlen würde. Etwa wenn man sich kurz überlegt, in einen Attac-Bus zu steigen, um beispielsweise in Genua zu protestieren.

Einfach mal nach Argentinien fahren und einen Dokumentarfilm machen, hat sich Heidi Frankl gedacht, ein privilegierter Freizeitspaß, dessen Ergebnis zeigt, wie Arbeiter sich ihren Kündigungen verweigern und die Betriebe übernehmen. Wie die Arbeitslosen Netzwerke aufbauen, um Essen und medizinische Versorgung zu gewährleisten. Ein Film, der etwa 60.000 Euro gekostet hätte, wenn man nicht ausschließlich mit Freunden und Bekannten gearbeitet hätte.

Jetzt ist er fertig und läuft vor freundlich gesinntem Publikum – könnte man meinen. Doch nach dem Film folgt die Diskussion: Die politische Botschaft – der Neoliberalismus als Ursache des Globalisierungsübels – sei zu plump. Man wolle sich doch bitte selbst eine Meinung bilden können. Was denn überhaupt die Perspektive sei? Sozialismus etwa? Die Diskussion zeigt, dass der Film einen Nerv getroffen hat.

Heidi Frankl hofft, dass der Film „gefühlsmäßig bei den Leuten was ändert“: „Dass wir nicht mehr denken, ich kann eh nichts tun, sondern im Kleinen anfangen, für eine bessere Welt zu kämpfen.“ Etwas naiv, könnte man meinen. Überhaupt, muss man den Sympathien für Argentinien nicht misstrauen? Weil sie der Angst entspringen, die eigenen fetten Jahre könnten bald vorbei sein? Und gibt es nicht andere Länder, denen es schon viel länger viel schlechter geht? Man könnte die Sache noch weiter verkomplizieren. Man könnte sich aber auch einfach nur freuen: Schön, dass ihr das durchgezogen habt, einfach so ’nen Film in Argentinien drehen. Wir haben uns ja nicht mal in den Attac-Bus gesetzt.

„Luchamos Preguntando – Wir kämpfen fragend“; von H. Frankl und S. Meyer, 7. 12., 17 h, Acud, im Rahmen der „globale“, www.globale03.de