: Mit offener Bluse
Körperkino: Jean-Claude Brisseaus Film „Heimliche Spiele“ schickt seine Protagonistinnen in die Falle
Dem Franzosen ist der Sex Vergnügen, Erleichterung, Dauerthema, Tabubruch und Erkenntnis. Längst ist er zum Medium geworden, zum Diskurs, zu einer Sprache, die sich forsch ins Feld der allgemeingültigen Aussagen begibt – von de Sade über Bataille bis Millet und Breillat, von den mathematischen Körperformeln zur Verschwendung, von der Ausschweifung zur erotischen Selbstfindung.
Im Zentrum des Diskurses steht gerade im französischen Kino der weibliche Körper. Catherine Breillat schickt ihn auf surreale Exkursionen in die Welt der Sekrete. In dem pornografischen Roadmovie „Baise-moi“ von Virginie Despentes werfen sich die beiden Heldinnen mit Haut und Haaren in ein orgiastisches Schlachtfest, um im Tötungsakt das Prinzip des männlichen Nehmens zu übersteigern. In Jean-Claude Brisseaus „Heimliche Spiele“ ist die Konstellation nun ähnlich: Zwei Frauen versuchen das für sie nicht vorgesehene Terrain von Macht und Karriere zu erobern. Die éducation sentimentale wird bei Brisseau zur éducation corporelle. Für Sandrine und Natalie ist der Körper ein Instrument der Macht, dessen virtuose Beherrschung zunächst einmal erlernt sein will. Deshalb beginnt der Film in einem Striplokal. In aller Ausführlichkeit befriedigt sich die nackte Natalie selbst auf der Bühne. Auch wenn diese Szene besser ausgeleuchtet ist als die 0190-Spots im Fernsehen, besitzt sie deren aufdringlich anspringenden Touch.
Eher scheinheilig versucht der Film dann dem Rotlicht-Touch zu entkommen, indem er die exhibitionistisch-voyeuristischen Bilder umdeutet. So erklärt die Stripperin Natalie ihrer Freundin Sandrine, dass sie die Fäden in der Hand halte, obwohl sie das Objekt der Begierde sei. Sie könne ihre eigene Lust durch die begehrlichen Blicke der männlichen Zuschauer steigern. Nachdem die beiden in der Pariser Métro masturbiert oder mit einem Mantel und nichts drunter in Cafés posiert haben, wollen sie die Chefetage eines Bankhauses erobern. Irgendwie scheint es, als werde hier die überzogene Version eines Brigitte-Karriereratgebers nachexerziert: „Wie verhalten Sie Sich gegenüber Ihrem Chef? Körpersprache!“ Mit kurzen Röcken und offenen Blusen stolzieren Natalie und Sandrine durch die langen Flure. Immer wieder ziehen sie mit herausfordernden Gesten und dem Griff zwischen die eigenen Beine den Blick der männlichen Angestellten auf sich. Hie und da landet auch ein Slip auf dem Schreibtisch des Chefs. Barocke Musik macht uns deutlich, wie ungemein mächtig und erhaben die Anmache ist. Natalie und Sandrine spielen mit ihrer Lust und berechnen, jawohl, eiskalt ihre Vorteile, bis die wahren Gefühle ins Spiel kommen.
Bei Jean-Claude Brisseau gehen die Waffen einer Frau nach hinten los. Seine Protagonistinnen erliegen dem smarten Juniorchef, der sich als geborener Virtuose auf der Sex- und Manipulationsklaviatur erweist. Ganz moderner Libertin, zitiert er de Sade und veranstaltet in seiner Villa Gruppensexpartys à la Caligula. Nicht nur die sexuellen Freibeuterinnen haben ihre Netze ausgelegt, auch der Film hat ihnen eine Falle gestellt und lässt sie als gedemütigte Opfer zurück: „Gehen Sie nicht zu weit! Geben Sie Ihrem Chef immer das Gefühl, dass er Herr der Lage ist.“
ANKE LEWEKE