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Archiv-Artikel

Trauer um Spuckesepp

Der Rewe-Getränkemarkt im ostwestfälischen Borgentreich bangt um sein Fortbestehen

Der Spuckesepp starb einsam, aber im Frieden mit sich und der Welt und Borgentreich

Der Borgentreicher Spuckesepp (siehe auch Die Wahrheit vom 24. September 2003) war nicht der Dorfdepp, für den ihn Zugezogene und Dahergelaufene in der Regel hielten. Er kannte sich im Nachbarstädtchen Warburg aus, was in seiner Heimatstadt ein Indiz für Weltläufigkeit ist. Zudem konnte er alle Borgentreicher beim Vornamen nennen. Der jeweilige Familienname war ihm egal. Nicht so das politische Weltgeschehen, das er gern bei einem guten Schluck Cola („Coca-Cola!“) erörterte.

Legendär die Gespräche, die er vor dem Pfandautomaten des Rewe-Getränkemarkts führte. Spuckesepp: „Du trinkst kein Bier?!“ – Pfandautomatenbenutzer (genervt): „Nein.“ – Spuckesepp (erleichtert): „Na, wenigstens einer, der sich hier nicht den Kopp wegsäuft. Aber ich würd statt Sprudel doch ’ne Cola trinken. Schmeckt einfach besser!“ Nun gehört das alles der Vergangenheit an. Der Spuckesepp ist tot.

Pastor Willi Lütgeferch dachte sich zunächst nichts dabei, als er Spuckesepp am Morgen des 29. November regungslos im Altarraum der Borgentreicher Kirche St. Joh. Enthauptung liegen sah. „Spuckesepp war ein fleißiger Kirchgänger, und wie wir alle wissen, hat er gern mal einen über den Durst getrunken. Es wäre also nicht verwunderlich gewesen, wenn er seinen Cola-Rausch bei mir in der Kirche ausgeschlafen hätte. Sein Bruder hat ihn in diesem Zustand ja nicht mehr ins Haus gelassen!“, wird Lütgeferch in der Neuen Westfälischen Sonntagszeitung zitiert. Nach den Beschreibungen des Geistlichen war Spuckesepp seinem Schöpfer genau so entgegengetreten, wie ihn die Borgentreicher schätzten und in Erinnerung behalten werden: Die speckige Filzmütze tief ins Gesicht gezogen und eine ausgetrunkene Literflasche Coca-Cola in der Hand. Spuckesepp starb einsam, aber im Frieden mit sich und der Welt.

„Ein Tod durch Fremdverschulden kann ausgeschlossen werden“, erklärte die Warburger Kriminalpolizei – ebenso, dass Spuckesepp Opfer eines Raubmordes geworden sei, wie im beschaulichen Börde-Ort zunächst kolportiert wurde. „Spuckesepp war zum Zeitpunkt seines Ablebens im Besitz von drei Euro fünfzig. Vermutlich Pfandgeld“, erläuterte der Polizeibericht weiter. Als Todesursache sei ein Herzschlag oder Schlaganfall anzunehmen. Der Leichnam des 73-Jährigen soll obduziert werden.

Bürgermeister Tömm hatte erst durch den Konrektor des örtlichen Schulzentrums von dem tragischen Fall erfahren. Konrektor Uppel hatte beim Brötchenholen den sichtlich aufgewühlten Pfarrer Lütgeferch getroffen und die Hiobsbotschaft dann per SMS in ganz Borgentreich verbreitet. Bürgermeister Tömm eilte daraufhin ins Rathaus, um noch am selben Vormittag mit Vertretern des Borgentreicher Schützenvereins, der Freiwilligen Feuerwehr, des Reservistenverbandes, des Bauernvereins und des CDU-Landfrauenverbandes über eine würdevolle Trauerfeier zu beraten.

Etwa zur gleichen Zeit hatte Sparkassenfilialleiter Conze eine Krisensitzung anberaumt. Man müsse damit rechnen, dass in den nächsten Tagen und Wochen der Betrieb des Geldautomaten gestört sei, dozierte er vor seinen beiden Schalterangestellten. Schließlich war es Spuckesepp gewesen, der tagtäglich neben dem Geldautomaten stand, den Sparkassenkunden beim Geldabheben über die Schulter schaute und den Borgentreichern gegen „ein Euro für ’ne Cola“ ihre Geheimnummer ins Ohr flüsterte. „Niemand hier hat sich seine Pin-Nummer gemerkt“, brummte Conze, „alle haben sich auf Spuckesepp verlassen!“

Bürgermeister Tömm beschlichen derweil andere Sorgen – nämlich dass der Rewe-Getränkemarkt nach Spuckesepps Ableben Kurzarbeit anmelden könnte. Außerdem ringt Tömm heftig mit sich, ob er in seiner Trauerrede den „Fanta-Skandal“ vom letzten Schützenfest zur Sprache bringen soll, jenen Skandal, der Borgentreich im September erschüttert hatte (Die Wahrheit berichtete) und in dessen Zuge, so Tömm, durch „völlig falsche Beschuldigungen skrupelloser Elemente aus der Nachbargemeinde Pörde gerade unserem Spuckesepp in übelster Weise nachgeredet werden sollte.“

Auch wenn Spuckesepp nun seine letzte Ruhe gefunden hat, Borgentreich wird sie wohl noch lange nicht finden.

KLAUS LEWEKE/JÜRGEN ROTH