: „Die Polen verhalten sich schizophren gegenüber der Ukraine“, sagt Basil Kerski
Polen zeigt große Solidarität mit der Ukraine. Die Krise dort birgt eine Chance, die Ostpolitik der EU mitzubestimmen
taz: Herr Kerski, in Polen gibt es große Solidarität mit der ukrainischen Opposition. Woher rührt dieser Enthusiasmus?
Basil Kerski: Historisch gesehen ist das ungewöhnlich. Die Ukraine war für Polen im 20. Jahrhundert nicht gerade ein befreundetes Volk. Auch laut jüngsten Meinungsumfragen hegen Polen weitaus größere Sympathien für Deutsche als für Ukrainer. Die Euphorie über die Opposition ist insofern ungewöhnlich.
Ist das durch 1989 und die eigene Geschichte erklärbar?
Es gibt zwei Ursachen. Juschtschenko hat die Transformation Polens in den letzten 15 Jahre zu seinem Modell erklärt. Das macht ihn polnischen Demokraten sympathisch, es schmeichelt ihrer Eitelkeit. Wichtiger ist aber Putins gelenkte Demokratie und seine Ambition, das russische Imperium wieder zu stärken. Polen will nicht drei Nachbarn im Osten mit ähnlich undemokratischem Staatsmodell haben.
Ist das schon eine neue Freundschaft? Im Grenzgebiet gab es noch vor ein paar Jahren einen Kirchenkrieg: Ukrainische Nationalisten haben gegen den Papst agitiert, polnische Nationalisten antiukrainische Parolen an Häuser gemalt.
Wenn ich die aktuellen polnisch-ukrainischen Beziehungen positiv bewerte, dann vor dem Hintergrund der letzten hundert Jahre. Die polnischen Eliten haben vor 1989 eine unabhängige Ukraine negiert und sogar aktiv bekämpft. Die Folge waren Bürgerkriege und Terror, auf beiden Seiten. Da ist die Situation heute ganz erstaunlich. Die Mehrheit der politischen Klasse will eine unabhängige Ukraine. Die Nachkriegsgrenzen werden anerkannt, es gibt auch keine Entschädigungsforderung. Man akzeptiert, dass Lemberg, einst eine zum Großteil polnische Stadt, heute ukrainisch ist. Es gibt im polnischen Denken über die Ukraine einen Mentalitätswechsel.
Sind die Wunden tatsächlich verheilt? Wenn sich polnische und ukrainische Journalisten treffen, überwiegen Vergangenheitsthemen: der polnisch-ukrainische Krieg der 20er-Jahre, die Massaker an Polen in Wolhynien, die Aktion Weichsel, bei der ukrainische Bürger zwangsumgesiedelt wurden.
Die Erinnerung an Verbrechen an beiden Seiten ist noch frisch. Das stimmt. Auf der anderen Seite verhält man sich gegenüber den hunderttausenden ukrainischen Gastarbeitern, darunter vielen, die schwarz arbeiten, sehr tolerant. Die polnische Bevölkerung verhält sich gegen den Ukrainern ziemlich schizophren.
Hat die Öffnung der Grenze die Annäherung gebracht?
Man weiß in Polen aus eigenen Erfahrungen mit Schwarzarbeit im Westen vor 1989 und danach, dass das der Startschuss für eine eigene wirtschaftliche Entwicklung sein kann. Vor allem in der Krise Mitte der 90er-Jahre war dies die beste Methode, die Westukraine sozial und ökonomisch zu stabilisieren.
Wir stark sind denn die Interessen polnischer Firmen und Banken in der Ukraine?
Die Ukraine ist ein potenzieller Markt für Polen – bislang aber nur potenziell. Die politische Lage dort hat polnische Investoren abgeschreckt. Mit Juschtschenko verbindet man nun Hoffnungen. Auch das polnische Lohnniveau ist ihm globalen Vergleich gar nicht mehr so niedrig. Viele polnische Unternehmen wollen in Zukunft einen Teil ihrer Produktion in die Ukraine auslagern.
Warschau sieht sich gern als Anwalt der Ukraine in Europa. Was hat Polens Außenpolitik bislang bewirken können?
Die glaubwürdigste Form war die Offenheit der Grenzen. Polen musste 2003 aufgrund des Schengener Abkommens zwar eine Visapflicht gegenüber der Ukraine einführen. Doch mit kostenlosen Visa versucht Polen, die Grenze weitgehend offen zu halten. Dennoch hat diese Bürokratisierung den grenznahen Verkehr sehr eingeschränkt.
Zu der von Polen geforderten EU-Ostpolitik hat Warschau die EU aber nicht bringen können?
Dazu ist Polen auf dem EU-Parkett zu unerfahren. Ihm fehlen die Partner. Für die deutsche Regierung hat bis jetzt Schröders Schlittenhundfreundschaft mit Putin Vorrang.
Stärkt der Machtkampf die polnische Position in der EU?
In dem Moment, in dem sich die EU klar auf die Seite Juschtschenkos stellt, wird man fragen: Könnt ihr Polen vermitteln? Ich bin aber nicht sicher, ob Polen dieser neuen Rolle gewachsen ist.
Warum?
Trotz großer Sympathie für die demokratische Ukraine scheint mir die polnische Ostpolitik bisher etwas ideenlos. Man hat zu wenig in Kultur, Wissenschaft und den Aufbau eine demokratischen Elite in der Ukraine investiert, in den Aufbau bilateraler gesellschaftlicher Netze.
Würde Polen, falls die ukrainischen Opposition verliert, EU-Sanktionen gegen die Ukraine mittragen?
Schwierig. Polen wird, wie jedes andere Land, den Status quo akzeptieren müssen. Selbst wenn es zu einem chinesischen Modell kommen würde, wird man nicht eingreifen können. Geben wird es dann eine massive Auswanderungen der jungen Eliten in Richtung Westen, auch nach Polen.
Würde ein Sieg von Juschtschenko Auswirkungen auf Russland haben?
Ich denke, nein. Moskau hat sich darauf eingestellt, dass die Ukraine einen anderen Weg gehen könnte. Moskau weiß auch, dass die Ukraine, aber auch Polen und Deutschland, energiepolitisch und wirtschaftlich so von Russland abhängig sind, dass man immer einen Modus Vivendi finden muss. INTERVIEW: UWE RADA