„Die USA-Besatzer müssen raus aus dem Irak“, sagt Tariq Ali

Im Irak rechtfertigen die USA ihre militärische Präsenz mit dem Chaos, das sie selbst angerichtet haben

taz: George W. Bush fand, dass die Festnahme von Saddam Hussein eine gute Nachricht war. War es eine gute Nachricht?

Tariq Ali: Es war ein Propaganda-Coup für die USA. Saddam hätte dem Irak einen großen Gefallen getan, wenn er sich nicht lebendig hätte gefangen nehmen lassen. Aber wie alle Tyrannen, ist er ein Feigling.

Die US-Regierung hofft nun, dass der Widerstand schwindet. Ist das Wunschdenken?

Ja. Wer in der US-Regierung meint, dass der Widerstand von Saddam und Parteigängern des alten Regimes organisiert wurde, dem steht ein ziemlicher Schock bevor. Der Widerstand wird wachsen. Denn nun werden sich auch manche beteiligen, die sich bislang zurückgehalten haben, weil sie Saddams Rückkehr befürchteten. Die Kriegsbefürworter haben die Intervention zuerst damit gerechtfertigt, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gebe. Danach sagten sie, dass sie den Tyrannen vertreiben müssten. Nun – das haben sie geschafft. Da wäre es logisch, die Besatzung sofort zu beenden. Doch dies wird nicht geschehen, weil dies für die USA eine gewaltige Niederlage wäre. Deshalb werden sie bleiben. Und deshalb wird der Widerstand der Iraker weiter wachsen.

Meinen Sie wirklich, dass der Abzug der USA die Lösung ist?

Nicht die Lösung, aber die Voraussetzung für jede Lösung. Die Iraker werden die Besatzung niemals akzeptieren.

Was wollen die USA im Irak?

Ihr Ziel ist es wohl, ein Marionettenregime zu installieren, viele andere Staaten im Irak zu involvieren und selbst nach ihrem Rückzug ein paar Schlüsselbasen zu behalten. Das Problem der USA ist, dass es im Irak einen Widerstand gibt, mit dem niemand gerechnet hatte, und der alle Gewissheiten pulverisiert hat. Gäbe es diesen Widerstand nicht, wären auch Staaten wie Frankreich und Deutschland wohl schon längst im Irak engagiert – unter Kuratel der USA.

Überschätzen Sie den Widerstand im Irak nicht?

Nein. Die CIA geht von 50.000 bewaffneten Kämpfern aus.

Die US-Besatzung im Irak ist schlimmaber noch schlimmer wäre derzeit, wenn die USA abziehen würden. Denn dann droht dem Irak das Schicksal Afghanistans: Staatszerfall, Auflösung aller Ordnungsstrukturen, Einflussnahme der Nachbarstaaten. Oder?

Nein, das kann man nicht vergleichen. Was würde denn so Schlimmes passieren, falls sich die USA in den nächsten 12 Monaten zurückziehen müssten, weil der Widerstand zu massiv wird? Dann wird eine nationale Regierung gebildet, die den Irak, inklusive der Schiiten und Kurden, repräsentiert und versucht, das Land wieder aufzubauen. Wir wissen nicht, welche Probleme bei diesem Prozess auftauchen und wie lange er dauern wird. Aber wir wissen, dass es im Irak nichts gibt, was den Taliban vergleichbar wäre.

Die USA sind als Ordnungsmacht also überflüssig?

Ja, natürlich. Erst zerstören die USA den irakischen Staat und zerschlagen die Armee, dann ruinieren sie die sozialen Sicherungssysteme und privatisieren das Gesundheitswesen. Die USA besetzen das Land, produzieren Chaos – und dann rechtfertigen sie die Besatzung damit, dass ohne sie das Chaos ausbrechen würde. Das scheint mir kein akzeptables Argument zu sein.

Trotzdem: Überschätzen Sie nicht die zivile Kraft zur Selbstorganisation in der irakischen Gesellschaft?

Ich glaube nicht. Der Irak ist ein Land mit Geschichte und älter als die Saddam-Diktatur. Der Irak hat auch ausreichende Erfahrung darin, wie man ein Besatzungsregime los wird. Immerhin waren die Briten dort dreißig Jahre lang bis 1958 Okkupationsmacht. Insofern können wir vermuten, dass in dieser Gesellschaft die Kraft zur Selbstorganisation steckt. Auch wenn es lange dauert. Das Argument, dass die Besetzten nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, spiegelt die alte Mentalität der Imperialisten: Ohne die weißen Männer aus dem Westen funktioniert nichts.

Den Irakkrieg halten Sie für einen klassischen imperialistischen Krieg?

Was die USA dort tun, ähnelt klassischem Kolonialismus. Sie zerstören Häuser, verhaften ganze Familien und schützen ihre Lager mit Stacheldraht. Es ist der erste Versuch im 21. Jahrhundert, ein Land zu kolonisieren.

Zurück zu Saddam. Soll er vor ein internationales Gericht?

Die Besetzung des Iraks durch die USA ist illegal, und deshalb dürften die USA wenig Interesse an einem internationalen Gericht wie Den Haag haben.

Kann ein irakisches Gericht unabhängig von den USA urteilen?

Nein. Das Tribunal gegen Saddam im Irak wird, wie alles andere dort, von US-Interessen dominiert sein. Interessant wird sein, ob das Verfahren öffentlich ist. Und was passiert, wenn Saddam dort die Geschichte der Kollaboration zwischen den USA und dem Irak in den 80ern ausbreitet? Was, wenn ihm seine Gespräche mit Donald Rumsfeld während des Iran-Irak-Krieges einfallen? Das ist ein Problem für die USA – sie werden es, gemäß ihren Interessen, lösen.

Der japanische Kaiser Hirohito war bis 1945 an dem Tod von Millionen von Menschen beteiligt war. Danach brauchten die USA ihn für den Kampf gegen den Kommunismus. So verwandelte er sich in einen freundlichen Marine-Biologen, der nichts Böses getan hatte. Saddam wird sich vor unseren Augen kaum in einen harmlosen Archäologen verwandeln. Aber sie werden von ihm bekommen, was sie haben wollen.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE