berliner szenen Warten auf Weihnachten

Jahresendspurt

Mein Christkind heißt Urlaub. Wenn ich heute Nacht alles hinter mir habe, dann habe ich Urlaub. Alles hinter mir heißt: ich habe eine Dusche in der Wohnung (endlich), meine Arbeiten für Dezember erledigt (endlich), Einkäufe gemacht (endlich), bin meine alte Wohnung losgeworden (endlich), habe einen kleineren Bühnenauftritt absolviert (endlich) und einen größeren organisiert (endlich, endlich). Dann habe ich frei. Für ein paar Tage zumindest.

Ich bin, wie man sieht, eine der Ich-AGs, die unser Kanzler so liebt. Nur halte ich an mir auch die Aktienmehrheit und keiner will eine Fusion oder so genannte feindliche Übernahme machen. Ich bleibe also eine AG für mich selbst, an meiner eigenen Börse, ohne Tauschwert. Und weil ich am 24. 12. noch in die Nacht arbeite, ahnt man es schon, meine Branche ist die Unterhaltung, ein eh hohler Wert, in den ich selbst nicht investieren würde. „Unterhaltung ist kein Honiglecken“, sagt Markus Binder von der Band Attwenger, und er hat Recht. Und Metallica sangen: „God, it feels like it only rains on me“.

Was der Kulturarbeiter und insbesondere dieser hier beschriebene allerdings übersieht: Altenpfleger oder Lokführerinnen haben’s noch ärger. Ihre Wohnung ist auch immer kaputt, ihr Job scheiße, der Mann nervt, sie sind überanstrengt, wahrscheinlich schreit noch irgendwo ein Kind. Da kann ich mich dann doch zurücklehnen und sagen, Heiligabend, hurra!, mein Stress hört jetzt auf. Andere aber müssen Münder und Hintern abwischen oder auf zwei Schienen schauen den ganzen Tag, auch an den Feiertagen, und das bisschen Mallorca, das ihnen in diesem Jahr vergönnt war, kann man nicht dagegen aufrechnen. Wir habens gut dagegen, wir Kultur-Ich-AGs. JÖRG SUNDERMEIER