piwik no script img

Archiv-Artikel

Krimis für Kosmopoliten

Ihre smarte Ermittlerin Kati Hirschel betreibt einen Krimibuchladen in Istanbul und ist für junge Türkinnen ein echtes Vorbild. Eine Begegnung mit der türkischen Schriftstellerin Esmahan Aykol

VON ANNE KRAUME

Fred Vargas’ Kommissar Adamsberg ermittelt in Paris, Donna Leons Commissario Brunetti in Venedig. Bei beiden Autorinnen spielen die Weltstädte, in denen ihre smarten Ermittler wirken, eine beinahe ebenso wichtige Rolle wie diese selbst.

Esmahan Aykol hat zwei Romane geschrieben, die scheinbar nach demselben Muster funktionieren: „Hotel Bosporus“, im letzten Jahr auf Deutsch erschienen, und „Bakschisch“, in diesem Jahr übersetzt. In beiden Büchern erlebt die Ermittlerin Kati Hirschel, die in Istanbul eigentlich einen Krimibuchladen betreibt, die Stadt in all ihren Facetten. Vom Frühstück in den Teegärten über die Korruption in den Stadtteilverwaltungen, vom Schick der modernen Istanbulerinnen bis zu ranzigen Kebabrestaurants: Alles, was eine Krimihandlung mit ausreichend Lokalkolorit unterfüttert.

Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Kati Hirschel und Commissario Brunetti: Während Brunetti ein waschechter Venezianer ist, hat Kati keine lange Istanbuler Vergangenheit. Sie ist Deutsche, lebt seit dreizehn Jahren in der Stadt, hat türkische Freunde, spricht fließend Türkisch – aber trotzdem bleibt sie eine Außenstehende, die die türkische Gesellschaft immer auch distanziert betrachtet. „Eigentlich wollte ich über meine eigenen Erlebnisse als Türkin in Deutschland schreiben“, erzählt Esmahan Aykol. „Aber ich fand schnell, dass das nicht spannend wäre – deshalb habe ich es einfach umgedreht: Eine Deutsche in der Türkei, was erlebt die dort? Mit welchen Vorurteilen ist sie konfrontiert? Was stört sie und was gefällt ihr?“ Über all diesen Fragen geraten Aykols Krimihandlungen fast ein wenig in den Hintergrund. Wenn man ihr an diesem kalten Berliner Winternachmittag im Café zuhört, dann merkt man, dass das kein Zufall ist. Es macht nichts aus. Man muss Aykols Romane als das lesen, was sie sein wollen: Geschichten über das Fremdsein.

Esmahan Aykol hat in Istanbul Jura studiert und kam 1998 nach Berlin, um Deutsch zu lernen. Ihr türkischer Mann ist in Deutschland aufgewachsen und schreibt als Journalist auf Deutsch: „Ich wollte lesen können, was er schreibt!“, erzählt sie. Nach sechs Monaten Sprachkurs fing sie an der Humboldt-Universität ein Aufbaustudium an, um noch weiter lernen zu können.

Wenn sie jetzt lachend davon erzählt, blitzt der kleine Brillant an ihrem Schneidezahn. Sie zieht an ihrer Zigarette, schüttelt die langen rötlich braunen Locken und lehnt sich zurück. Ihre Geschichte hat zwar keinen klaren Anfang und kein eindeutiges Ende, sie franst manchmal ein bisschen aus und ist trotzdem eine richtige Geschichte.

Statt der Magisterarbeit für ihr Aufbaustudium fing sie damals ihren ersten Roman an: Man hatte sie nämlich zunächst gar nicht erst zulassen, ihr türkisches Studium nicht anerkennen wollen. Vor lauter Wut, und weil sie zeigen wollte, „dass Türkinnen gar nicht so schlecht sind“, fing sie ihren Roman über die Deutsche in Istanbul an. Kati Hirschel nahm ihre Ermittlungen auf, und die Juristin Esmahan Aykol war Schriftstellerin geworden: „Schon mit sieben Jahren habe ich zu Hause vor dem Spiegel die Rede geübt, die ich halten wollte, wenn ich einmal den Literaturnobelpreis bekäme.“

Dass ihre ersten Bücher ausgerechnet Krimis wurden, liegt daran, dass Aykol mit ihrer Heldin die Leidenschaft für dieses Genre teilt – damals habe sie nur Krimis gelesen, aber jetzt habe sie die Nase voll davon. Das nächste Buch wird deshalb eine Liebesgeschichte.

Kati Hirschel wurde schnell zum Vorbild für Tausende junge Türkinnen: Eine Journalistin erzählte Aykol bei einem Interview, sie habe sich vorher noch die Haare so schneiden lassen, wie Kati sie trägt; und eine Leserin berichtete, sie erwarte immer, Kati jeden Moment auf der Straße zu treffen, wenn sie durch das Viertel gehe, in dem sie ihren Buchladen betreibt.

Heute lebt Esmahan Aykol wieder in Istanbul. Nach den Jahren in Deutschland fehle ihr jetzt vieles in der Türkei, sagt sie – deutsche Freunde, deutscher Käse und die saubere Luft: „Jetzt habe ich mein Zuhause ganz verloren. Und ich mag Istanbul auch nicht so gern wie mein Mann oder Kati Hirschel.“ Trotzdem: Berlin sei im Vergleich mit Istanbul provinziell. „In Berlin gibt es Deutsche und Türken – aber das macht eine Stadt ja noch nicht kosmopolitisch.“ Umso mehr, als die Türken in Kreuzberg auch wenig mit denen gemeinsam haben, die Aykol in Istanbul auf der Straße trifft: „Kreuzberg hat mehr von einem kleinen anatolischen Dorf!“

Sie, die zwischen den Kulturen unterwegs ist und darüber schreibt, hat gelernt, auf solche Unterschiede zu achten. Auch in der Diskussion über den EU-Beitritt der Türkei fallen Aykol deshalb die Untertöne auf: „Siebzig Prozent der Türken wollen den Beitritt, aber nicht alle wissen, was er bedeuten würde – für viele ist die EU nur ein Synonym für Reichtum.“ Für sie stehen andere Argumente im Vordergrund: „Man darf Staaten nicht alleine lassen, sondern muss sie in übergeordnete Organisationen einbinden.“ Dass das richtig ist, zeigt sich für Aykol schon daran, dass die Regierung in Ankara für den EU-Beitritt Reformen auf den Weg bringt, die sich die Linke im Land schon lange wünscht.

Doch letzten Endes geben die ganz handfesten Dinge des Lebens die Richtung vor. Vor Aykols Abreise nach Berlin hatte es in Istanbul sommerliche Temperaturen. „Das Wetter ist schrecklich hier!“, stöhnt sie. Mittlerweile versteht sie sogar die deutschen Touristen in der Türkei, die ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne halten. Früher, vor ihrer Zeit in Deutschland, hatte sie die lächerlich gefunden, aber inzwischen weiß sie: „Was sollen die anderes machen nach einem deutschen Winter?“