: Vertriebenen-Chef hat Holocaust verharmlost
Gericht hebt Freispruch eines Vertriebenen-Funktionärs auf. Er habe Auschwitz-Morde relativiert und das Volk verhetzt
FREIBURG taz ■ Der ehemalige Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, Paul Latussek, muss mit einer Verurteilung wegen Volksverhetzung rechnen. Der Bundesgerichtshof hob gestern einen Freispruch des Landgerichts Erfurt auf. Latussek habe sich in einer Rede „verharmlosend“ zur Zahl der Opfer im KZ Auschwitz geäußert.
Konkret ging es um einen Rechenschaftsbericht, den Latussek im November 2001 in einer Verbandssitzung vortrug. Dort wandte er sich gegen eine „einseitige Kollektiv-Schuldzuweisung gegenüber unserem Volke“. Als einen Beleg führte er an, dass „die Aussagen über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht mehr länger zu halten sind. In Auschwitz gab es offensichtlich keine 6 Millionen Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930.000 nachgewiesen.“
Das Landgericht hatte Latussek freigesprochen, weil die schriftliche Fassung des Rechenschaftsberichts – in dem sogar von „Lügen über die Opfer in Auschwitz“ die Rede war – lediglich an zwei Journalisten verteilt wurde. Latussek habe sie folglich nicht „verbreitet“. So weit stimmte der BGH zu. Die Richter wiesen aber darauf hin, dass auch die mündliche Verharmlosung des Holocaust „in einer Versammlung“ strafbar sei. Das Landgericht Erfurt muss nun neu entscheiden. Die Richter ließen offen, welche Opferzahlen sie für korrekt und worin die Verharmlosung konkret bestanden haben soll. In einer Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung werden für Auschwitz-Birkenau „eine Million“ Opfer angegeben.
Hintergrund für Latusseks Äußerung dürfte sein, dass am KZ Auschwitz lange eine Gedenktafel angebracht war, die von vier Millionen Opfern sprach und erst 1990 entfernt wurde. Dass insgesamt in Europa rund 6 Millionen Juden ermordet wurden, ist historisch nicht umstritten. CHRISTIAN RATH