Atomkraft geht, Litauen bleibt

Litauen hat den Block I seines AKW Ignalina abgeschaltet. EU verlangt Stilllegung des Reaktors vom Typ Tschernobyl

VILNIUS ap/taz ■ Die litauischen Behörden haben am Silvestertag 2004 den Reaktorblock I des Atomkraftwerks Ignalina vom Netz genommen. Als neues Mitglied der Europäischen Union hatte sich Litauen nach jahrelangen Verhandlungen verpflichtet, den ersten Block bis Ende 2004 und den zweiten bis 2009 abzuschalten.

Ignalina produziert seit 1983 Strom. Das Kraftwerk ist vom gleichen Typ wie der Reaktor von Tschernobyl. Bei dem bislang schwersten Unglück in der zivilen Nutzung der Atomenergie war am 26. April 1986 der vierte Reaktorblock im Kernkraftwerk Tschernobyl nördlich von Kiew explodiert. Die radioaktive Wolke verstrahlte große Teile Osteuropas. In mehreren europäischen und außereuropäischen Staaten hat sich danach die Politik des Atomausstiegs durchgesetzt.

Litauen, in seiner Elektrizitätsversorgung zu mehr als 80 Prozent von dem Atomkomplex abhängig, versorgt auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion teilweise die Kaliningrader Exklave (Königsberg), Weißrussland und Lettland. Neue konventionelle Kraftwerke gehen aber noch dieses Jahr in Betrieb, um den Energiebedarf des nächsten Winters zu decken.

Von der Europäischen Union erhält der baltische Staat beträchtliche Ausgleichszahlungen. 240 Millionen Euro sind laut einer Aufstellung des litauischen Wirtschaftsministeriums schon fest zugesagt. Darüber hinaus hat die EU-Kommission weitere Geldmittel in Höhe von 815 Millionen Euro für die Jahre 2007 bis 2013 empfohlen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. Das AKW liegt im südöstlichen Teil Litauens in einer wirtschaftlich schwer gebeutelten Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit. Im Umkreis der Parlamentswahlen vom vergangenen Oktober hatte es deshalb Forderungen von mehreren Parteien gegeben, die Stilllegung um sechs Monate hinauszuzögern.

Die französische Regierung hat angeboten, Litauen beim Bau eines neuen Atomkraftwerks an gleicher Stelle zu unterstützen und einen Teil des benötigten Geldes zu geben. KOCH

meinung und diskussion SEITE 11