: Die Stadionhörer
FUSSBALLFANS Nicht alle St. Pauli-Fans sind im Stadion, wenn ihr Verein spielt. Manche sitzen auch draußen und hören bloß zu. Ein Bericht vom Rand des Spielgeschehens
VON ROGER REPPLINGER
Drei Hunde liegen in der Sonne. Gähnen, stehen mal auf, gehen so weit es ihre Leinen erlauben, recken sich, legen sich wieder hin. Der Stadionsprecher verkündet die Mannschaftsaufstellung des FC St. Pauli. Die Herrchen und Frauchen der Hunde sind nicht im Stadion, sondern sitzen, ein paar Meter weiter, vor der neuen Südtribüne, ebenfalls in der Sonne. Sie haben mehrere Flaschen Bier und eine Pulle Wein für alle.
Als einer der Hundehalter, schwarze Lederhose, schwarze Lederjacke, Richtung Toilette wackelt, sagt sein Kumpel. „Aba lass ma die Flasche hia.“ Im Stadion raunt es. Torchance für den FC. Unter in der Südtribüne ist ein Lokal, da stehen vierzig Pauli-Fans vor dem Fernseher. Sie sind nah dran. Wer so nah dran ist, ist besonders weit weg. Das tut mehr weh als Zuhausebleiben. Das tut sich nur an, wer liebt.
Überall rund ums Stadion am Millerntor sitzen, liegen, hocken und stehen Fans des FC St. Pauli, die – warum auch immer – keine Karte haben. Sie kriegen eine Menge mit, aber küssen dürfen sie ihr Mädchen nicht. Sie hören es, riechen es, und wissen, dass es da ist. Nur: Berühren ist nicht. Das ist der Unterschied zwischen drinnen und draußen.
Vor dem Wirtschafts-Gymnasium, auf das der St. Pauli-Star Volker Ippig ging, sitzen sie auf den Steinbänken und lesen das Spiel an seinen Geräuschen ab. Im U-Bahnhof Feldstraße trägt Thomas ein braunes „Stani“-Hemd, auf dem mit schwarzem Filzstift „Hoilett“ unterschrieben hat, und guckt, mit einem Sicherheitsbeamten der Hochbahn, fern. „Sieht denn der das nicht?“, fragt der Sicherheitsbeamte und Thomas schimpft: „Was macht denn der Torwart da?“
Von den Geräuschen im Stadion hören sie hier nichts. Dafür können sie sich ein Bild machen. Und sie haben einen Kommentator. Der sagt: „Die Sonne steht tief.“ Das ist wahr. Wahr ist auch, dass vor der Schanzenbäckerei einer den Kopf tief auf der Tischplatte hat und schläft. Thomas erzählt, dass er „diesmal keine Karte bekommen“ hat. Das nächste Mal will er unbedingt wieder rein. Vier Touristen in Jacken, Hosen und Schuhen in den Farben von Dr. Oetker-Pudding ist das Spiel egal. Sie schaufeln Pasta in sich hinein und trinken Hefeweizen, dann und wann stoßen sie leicht auf.
Zwei Polen, Gerhard und Andrzej, spielen auf einer Metallkiste vor dem Bunker an der Feldstraße Schach. „Wir haben gerade ein bisschen Zeit“, erklärt Gerhard. Aber nicht genug, um eine Eintrittskarte zu kaufen. „Wir hören das Spiel“, sagt Gerhard, „manchmal ist es laut, dann ist vermutlich ein Tor für St. Pauli gefallen. Keiner weiß es, nur die, die drin sind.“ Er schätzt den Spielstand auf 2 : 0 für Pauli. Und liegt daneben. Im Schach führt Gerhard 1 : 0.
Peter ist 54 Jahre alt und hat seinen Elektrorollstuhl vor der Rot-Kreuz-Wache abgestellt. Er ist „ziemlich regelmäßig hier“. Lieber wäre er drin, aber mit seinem Rollstuhl ist das so eine Sache. „Stimmungsmäßig kriegt man hier doch was mit“, sagt er. Würde er zu Hause Radio hören, hätte er das richtige Ergebnis, aber weniger Atmosphäre. So hat er Atmo, tappt aber beim Ergebnis im Dunklen. „Man kriegt ja nur mit, wenn Pauli was macht, die anderen gehen unter. Da ist Asche“, erklärt Peter.
Er erklärt, wie wichtig es für die Deutung der Spielgeräusche ist, „dass man weiß, welche Mannschaft in welche Richtung spielt“. Und eine klare Unterscheidung der unterschiedlichen Ausdrucksformen der Enttäuschung ist auch wichtig. Er beklagt, dass, obwohl er nur ein paar Meter vom Spiel weg ist, „der Stadionsprecher ganz schlecht zu verstehen ist“. Peter deutet Richtung Südtribüne: „Da drüben versteht man ihn besser, aber man bekommt vom Spiel weniger mit.“ Bei der Abwägung aller Vor- und Nachteile hat er entschieden, hier zu bleiben. Lieber wäre er drin.
Vor der Tribüne auf der Gegengerade sitzen ein paar Leute auf Steinen und trinken Bier, das die Sonne zum Leuchten bringt. Da haben es die vier unter der Pappel bequemer, sie sitzen auf Campingstühlen mit dem Rücken zum Stadion und haben ihr Bier mitgebracht. Starkes, dunkles, in Dosen. Stefan ist 37, Landschaftsgärtner, und hat eine Dauerkarte. Er hat heute viel gearbeitet und konnte nicht mehr stehen. „Der Alkohol“, sagt er, „kommt noch dazu.“ Also ist er rausgegangen, die Freundin ist noch drin. Stephan, 39, ist „nicht immer bei Heimspielen hier, aber manchmal schon“. Jan, 39, sitzt „eigentlich immer hier unter der Pappel. Auch bei Regen. Dann mit einem Schirm“. Draußen, meint, er, „trifft man definitiv die interessanteren Leute“.
Früher war er drin, „aber das Bier ist so teuer“, sagt er, „und außerdem man muss für alles Schlange stehen: Wurst, Bier und Pinkeln“. Matthias ist 40 und kommt aus Lübeck. „Draußen ist klar besser“, meint er. Dann ist das Spiel aus, Matthias schätzt den Endstand auf 1 : 1 und liegt daneben. Dafür saß er gut.