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Archiv-Artikel

Vom Alien zum kritischen Journalisten

Er war der Autor des linken Standardwerks zum „Kalten Krieg“. Helmut Wolfgang Kahn schrieb für den Stern, veröffentlichte „Die Russen kommen nicht. Fehlleistungen unserer Sicherheitspolitik“ oder eine kritische Helmut Schmidt-Biografie. Zum Tode des großen Hamburger Publizisten

Internierungslager waren für Helmut Kahn „seine Universitäten“

Nachruf von Wilfried Weinke

Deutschland hatte er nicht freiwillig verlassen. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er fliehen. Der politischen Weitsicht seiner Mutter verdankte er sein Überleben.

Der 1922 in Mannheim geborene Helmut Wolfgang Kahn gelangte 1939 mit einem Kindertransport nach England. Seine Emigration hatte er zwar in der Rückschau eher als „Ausreise“, als „Abenteuer“, bewertet. Und doch stellte sie einen völligen Bruch zu Kindheit und Jugend dar. Im von Invasionsangst und Spionagefurcht geprägten England galt auch er nach Beginn der deutschen Militäroffensive im Mai 1940 als enemy alien, als feindlicher Ausländer. Zuerst auf der Isle of Man interniert, transportierte man ihn im Juli 1940 gemeinsam mit 1.600 anderen Internierten nach Australien. Auf Grund der Schikanen der britischen Soldaten, der skandalösen Unterbringung und der ständigen Gefahr der Torpedierung durch deutsche U-Boote gewiss keine Erholungsreise. Nach viermonatiger Fahrt erreichte er Melbourne. Das Camp Tatura, ein australisches Internierungslager, wurde für die nächsten zwei Jahre sein Aufenthaltsort. Doch trotz Stacheldrahtumzäunung und Bewachung bezeichnete Helmut Kahn die Internierungslager – ganz im Sinne Maxim Gorkis – als „seine Universitäten“: sie boten ihm die Chance zur Weiterbildung !

1942 endete seine Internierung in Australien. Zurück in England verpflichtete man Kahn zu work of national importance: zeitweilig musste er auf einer Hühnerfarm arbeiten.

Erst im Spätsommer 1947 kehrte er nach Deutschland zurück. Zuerst als Zivilangestellter der amerikanischen Armee, später in der Presseabteilung der amerikanischen Botschaft in Bonn tätig, arbeitete er von 1956 bis 1962 bei der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg, kurzzeitig auch in der Redaktion des „Weltspiegel“ beim Norddeutschen Rundfunk. Mitte der sechziger Jahre wurde aus dem „kalten Krieger“, als der Helmut Kahn nach Deutschland zurückgekehrt war, ein kritischer Journalist. Seit September 1966 zählte er zur Redaktion der von Gerd v. Paczensky herausgegebenen Zeitschrift „Deutsches Panorama“.

Neben Beiträgen von Bernt Engelmann, Sebastian Haffner, Heinrich Hannover und anderen erschienen Helmut Kahns Artikel „Nanu: Keine Russen-Horden?“ oder „Opas Nato ist tot“. 1967 wechselte er zum „Stern“, wo er mehrere Jahre als militärpolitischer Redakteur wirkte.

Als freier Publizist veröffentlichte er Bücher mit so provo- kanten Titeln wie „Die Russen kommen nicht. Fehlleistungen unserer Sicherheitspolitik“ (1969) oder „Pentagon. Friedensfeind Nr. 1“ (1983). Von Helmut Kahn stammt aber auch die kritische Biographie „Helmut Schmidt. Fallstudie über einen Populären“ (1973). Seine größte publizistische Leistung stellt aber sein dreibändiges, mehr als 1.000 Seiten umfassendes Werk „Der Kalte Krieg“ dar, das zwischen 1986 und 1988 erschien.

In den letzten Jahren lebte Helmut Kahn sehr zurückgezogen. Bis zuletzt hatte er sein Interesse an der Tagespolitik nicht verloren, versorgte Freunde und Kollegen mit Zeitungsausschnitten und kritischen Kommentaren. In der Nacht vom 12. zum 13. Januar 2005 starb Helmut Kahn in aller Stille in Hamburg. Freunde verlieren mit ihm einen charmanten, eigenwilligen, liebenswerten Menschen.