: Gegengipfel als Gipfeltreffen
Das Weltsozialforum 2005 soll an konkreten Aktionsformen arbeiten. Aber schon das Programm gibt diesen Anspruch nur zum Teil wieder
VON BERND PICKERT
Größer, breiter radikaler – das war bislang die Dynamik des Weltsozialforums, dessen fünfte Auflage ab morgen, nach einem Ausflug ins indische Mumbai im vergangenen Jahr, nun wieder im brasilianischen Porto Alegre stattfindet. Dort hatte das Megaevent 2001 seinen Ursprung.
Knapp 120.000 TeilnehmerInnen, die übergroße Mehrzahl davon wieder aus Lateinamerika und Europa, haben ihre Anreise angekündigt. Das sind noch einmal mehr als in den Vorjahren, doch nicht mehr so viel mehr, und die Erwartungen an das Forum sind von großer Euphorie auf sachlichen Realismus heruntergeschraubt. Geblieben ist, dass die journalistische Standardfrage, worum es denn genau ginge beim Treffen der KritikerInnen der kapitalistischen Globalisierung, nicht so einfach zu beantworten ist. Ja schwieriger sogar noch, da das Internationale Komitee des Weltsozialforums diesmal bewusst darauf verzichtet hat, zentrale Veranstaltungen zu organisieren, bei denen die Prominenz der Szene den Ton und Zitate für die Presse vorgeben könnte.
Die Prominenten sind natürlich trotzdem da, von der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy bis zu ihrem portugiesischen Kollegen José Saramago, von Eduardo Galeano bis zum Befreiungstheologen Leonardo Boff. Auch Venezuelas selbst ernannter Revolutionär Hugo Chávez hat sich angesagt, genau wie Brasiliens Präsident „Lula“ da Silva – selbst wenn der nicht mehr, wie noch 2003, Star der Veranstaltung sein dürfte. Wie viele andere auch werden sie an den vier Forumstagen in den über 2.000 Veranstaltungen, Diskussionsforen und Workshops auf dem als Zeltstadt neu eingerichteten „Weltsozialterritorium“ ihre Positionen diskutieren.
Seit gestern erst, zwei Tage vor Beginn des Forums, ist das komplette Programm im Internet einzusehen – ein deutliches Zeichen, wie schwer es dem brasilianischen Organisationsteam gefallen ist, die angekündigte Themenbündelung der angemeldeten Veranstaltungen zu bewerkstelligen.
Eigentlich, so hatte es vorher geheißen, sollte das diesjährige Forum mehr Raum bieten, um konkret an Alternativvorschlägen und Aktionsformen zu arbeiten. Das Programm jedoch, das die unzähligen Veranstaltungen in elf Themenkomplexe mit so erotischen Titeln wie „Soziale Kämpfe und demokratische Alternativen – gegen neoliberale Dominanz“ oder „Frieden, Demilitarisierung und der Kampf gegen Krieg, Freihandel und Schulden“ gliedert, gibt diesen Anspruch nur zum Teil wieder.
Offenbar hat das Forum ein massives Problem: Als es 2001 antrat, auf dem Höhepunkt der stärker werdenden Globalisierungskritik, war der Bezug als Gegenveranstaltung zu Davos noch eindeutig, die Größe einigermaßen überschaubar. Dass das Forum stattfand, war ein Signal: Der Kapitalismus hat sich schon global vernetzt – der Widerstand tut das jetzt auch.
Inzwischen hat sich die Forumsidee verselbstständigt. Die Bewegung hat ihre Stars hervorgebracht, und mit „Globalisierungskritik“ ist nicht einmal mehr annähernd hinreichend beschrieben, was und wer alles in Porto Alegre mit eigenen Veranstaltungen um Gehör bittet. So stehen für die Teilnehmenden einerseits das Erlebnis an sich, andererseits der Austausch und die Vernetzung mit Freunden und Partnern aus anderen Teilen der Welt im Vordergrund. Andererseits suchen die über 5.000 akkreditierten Journalisten nach der „Message“, die vom diesjährigen Forum ausgehen könnte. Das mag 2003 noch die Ablehnung des bevorstehenden Irakkriegs gewesen sein – immerhin gingen die weltweit zeitgleich stattfindenden Demonstrationen im Vorfeld des Krieges auf Porto Alegre zurück. Doch schon 2004 in Mumbai konnte von einem gemeinsamen Signal nicht mehr die Rede sein. Zwar hatte Arundhati Roy damals angeregt, die Bewegung sollte sich auf wenige Punkte konzentrieren und dazu Kampagnen entwickeln – wirklich aufgenommen wurde die Idee aber nicht. Zu divers der Teilnehmerkreis, zu heterogen die politischen Vorstellungen.
Selbst unter den deutschen TeilnehmerInnen wäre dergleichen vermutlich schon schwer zu organisieren – kaum vorstellbar, dass etwa Attac, Heinrich-Böll-, Friedrich-Ebert- und Rosa-Luxemburg-Stiftung samt IG Metall, freischwebenden Antiimperialisten und dem Evangelischen Entwicklungsdienst eine gemeinsame Kampagne zustande bringen könnten, wozu auch immer.
So wirkt das Forum nach innen mehr als nach außen – von der Protestveranstaltung ist es zu einem Kongress geworden, bei dem, nicht unähnlich allen Fachkongressen der Welt, Organisationen ihre Arbeit vorstellen, eloquente RednerInnen das referieren, was sie immer referieren, und die spannendsten Begegnungen der TeilnehmerInnen in den Kaffeepausen stattfinden. Manche, etwa das Netzwerk Attac, werden sich am Rande des Forums in Klausur begeben und über die eigene Weiterentwicklung nachdenken. Das Weltsozialforum ist kein Gegengipfel mehr – es ist selbst ein Gipfeltreffen. Eines der anderen, wuseliger und ohne Abschlusserklärung.
Dabei stehen dem Forum womöglich wesentliche Veränderungen bevor. Schon lange diskutiert das Internationale Komitee, ob es angesichts des großen finanziellen und organisatorischen Aufwandes nicht besser wäre, nur noch alle zwei Jahre weltweit zu tagen und dazwischen regionale Sozialforen stattfinden zu lassen. Dagegen steht die Angst, andere oder auch Teile derer, die jetzt als breitestmögliches Netz das Forum tragen, könnten mit spalterischen Veranstaltungen diese Lücke füllen. Dass das Forum beim nächsten Mal in Afrika tagen soll, gilt hingegen eigentlich schon als beschlossene Sache – wo auch immer das dann sein wird.