: Seit‘ an Seit‘ für mehr Offenheit und Fördern aller Talente
Wenn ihr starker Arm es will: Gewerkschafter und Arbeitgeber haben sich zusammengerauft. Gerechtigkeit und Leistung sollen sich in deutschen Schulen nicht mehr ausschließen
Erstmals fordern Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam bessere Schulen. In einem Papier verlangen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) weitere Bildungsreformen. „Wir sind uns einig, dass es dringend nötig ist, mehr Geld ins Bildungssystem zu investieren“, sagte Volker Scharlowsky, Bildungsexperte des DGB, zur taz.
Mit dem Zehn-Punkte-Papier reagieren die Tarifpartner auf die Pisa-II-Studie. Die Erklärung ist zwar nicht das erste gemeinsame Papier zu Bildung, aber das erste umfassende. Im März 2003 hatten die Verbände lediglich gefordert, Ganztagsschulen auszubauen. Nach Pisa I, im Jahr 2001, wäre selbst eine solche Erklärung kaum denkbar gewesen, so gegensätzlich waren die Positionen damals noch.
Das neue Papier zeigt, wie weit sich DGB und BDA seit dem Pisa-Schock aufeinander zubewegt haben. Gemeinsam verlangen sie von Bund und Ländern, die Frühförderung in Kindergarten und Grundschule zu stärken und Kinder individueller zu unterstützen. „Der einzelne Schüler ist in den Mittelpunkt des Unterrichts und des schulischen Lebens zu stellen“, heißt es in der Erklärung. „Dafür müssten neue Formen des Lernens, des Differenzierens und des fachübergreifenden Unterrichts stärker genutzt werden.“
Sogar an die Strukturen wollen die Sozialpartner ran: Sie fordern eine „selbstständige Schule“, die eigenverantwortlich über Geld und Personal entscheiden kann. Orientieren sollen sich die derart autonomen Schulen künftig weniger an den Lehrplänen, sondern an den neuen Bildungsstandards, welche die Kultusminister derzeit entwickeln.
„Die Länder sollen wissen, wo die Sozialpartner stehen“, sagte Scharlowsky. Weitere Bildungsreformen seien nötig, um den Menschen und dem Standort Deutschland eine Perspektive zu geben. Stefan Küpper, Abteilungsleiter Bildungspolitik bei der BDA, sagt: „Wir wollen deutlich machen, dass die Sozialpartner in der Lage sind, gemeinsame Positionen im Schulbereich zu entwickeln.“ Und fügt mahnend hinzu: „Das sollte auch den Bildungspolitikern möglich sein.“ Er sieht das Papier als konstruktiv-kritische Begleitung – und als „Ermutigung, noch konsequenter voranzugehen“.
Während der DGB früher gegen zu starken Leistungsdruck und für Gesamtschulen eingetreten ist, bestand die Arbeitgeberseite auf straff organisierten Bildungswegen mit harten Leistungsstandards – und akzeptierte die frühe Auslese in der 4. Klasse vorbehaltlos. „BDA und DGB haben ihre Konzepte in der Bildungspolitik weiterentwickelt“, sagt Küpper heute vorsichtig. In Wahrheit ist es eine kleine Revolution, wenn nun mehr die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen angestrebt wird. Aus Gewerkschaftssicht ist das ein Schritt auf dem Weg zur Gesamtschule, die nun allerdings Gemeinschaftsschule heißt. Die Arbeitgeber indes halten an der gegliederten Schule fest, noch. Sie sind noch nicht so weit wie die Unternehmensberater von McKinsey oder Boston Consulting oder etwa der Handwerkskammertag, die sagen: Eine deutliche Erhöhung der Zahl akademisch Gebildeter ist unmöglich, wenn mit zehn Jahren die Würfel für die Uni fallen.
Heute heißt es: „Aus Leistungs- wie aus Gerechtigkeitsgründen können wir es uns nicht leisten, Talente nicht zu fördern und zu nutzen.“ Dahinter steckt die Erkenntnis, dass schlecht ausgebildete Schüler auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen haben. Die Bildungspolitik in einer solchen gesamtwirtschaftlichen Logik zu betrachten, ist der eigentliche Fortschritt der Tarifparteien. DANIEL ZWICK