: Niedergerockt
Was bleibt, sind blaue Flecken: Mando Diao aus Schweden beeindruckten im Mudd Club durch ihre angeschwollenen Halsschlagadern. Es wurden Brillen von Nasen geschlagen, Kippen flogen durch die Luft und zischten auf der Haut
„Mitte welcomes Mando Diao“ steht auf den durchweichten Zetteln, die auf dem Weg zum Mudd Club auf die Straßenlaternen geklebt sind. Man ist gerührt, dass es noch Menschen gibt, die sich trauen „Mitte“ zu sagen, und wünscht sich gleichzeitig, jemand hätte diese Begrüßung auch in die weiße Schneedecke am Straßenrand gepinkelt.
Willkommen zur wahrscheinlich größten Ansammlung von Buttons an Jacken, Pullis und Jackets, willkommen, Mando Diao, schön dass ihr da seid, ihr unerhörten, umwerfenden Schweden. Direkt vor der Bühne, obwohl es noch halb leer ist im Club, drängt sich eine Schar von besonders jungen Mädchen, die sich keinen Millimeter mehr von der Stelle bewegen wollen. Wir etwas älteren weiter hinten im Raum sind selbstverständlich ausschließlich wegen der hervorragenden Musik gekommen. Nun gut, das ist ein bisschen gelogen. Muss uns das unangenehm sein? Was ist denn schon dran am Gebot, nur die pure Musik würdigen zu dürfen! Meine Güte, es geht doch auch um Gefühle, um Vibrationen, um Pop! Quengeln wir nicht alle nach Schönheit und Selbstüberschätzung? Besonders in diesen Tagen, da sonst nichts geschieht?
Zu Hause, beim Hören der beiden Platten von Mando Diao, staut sich die Hoffnung und Vorfreude darauf, dass man endlich mal wieder überschäumen könnte. In ihren Liedern ist alles musikalisch aufgegabelt und zusammengeballt, was lässig ist und schön, alles, was aus der Musikgeschichte weiterhelfen könnte auf dem Weg durch die Adoleszenz in einer ungeliebten Kleinstadt. Dazu erschütternde Texte über Liebe und Gram, eingekuschelt in „yeah yeah yeah“ und „lalala“ – sowieso die wichtigsten Vokabeln der Popmusik.
Als keiner mehr in den Mudd Club passt, fängt es harmlos mit der Vorband an. Die Jungs von 22-20s üben sich in Niedlichkeiten: Dünner Stoff am hübschen, mageren Leib; die Lippen beim Spielen leicht geöffnet; die vom Schweiß klebrigen Haarkringel werden ruckartig aus dem Gesicht geschüttelt, und die Musik ist herrlich. Dann aber endlich: der Einsatz von Mando Diao.
Nach den ersten paar Schlagzeugschlägen sind nur noch schwarz gefärbte Ponyhaarschöpfe und ein paar schwingende Körperglieder zu erkennen. Brillen werden von Nasen geschlagen, ein Zigarettenstummel fliegt durch die Luft und zischt auf der Haut. Binnen Sekunden finde ich mich an die andere Seite des Raumes geschleudert. Niedergerockt. Nicht, dass es Dinge wie diese nicht schon zuvor gegeben hätte. Trotzdem überkommt er einen doch immer wieder unerwartet, dieser wüste Taumel der Meute.
Die Halsschlagadern der Sänger schwellen an, Lümmelhaftes bauscht sich auf, mit flatternden Lippen galoppiert es durch die Lieder. Man ist beeindruckt und höchst erfreut. Als der Ausbruch vorbei ist, sich Gepolter und Unruhe legen, riecht man an sich selbst den Schweiß der anderen Körper. Und findet sich in derart aufsässiger Stimmung wieder: die Jugend und die Großschnäuzigkeit. Man könnte sich jetzt auf der Stelle auf der Straße um die Liebe eines Jungen oder eines Mädchen hauen. Stattdessen schlittert man aber nur über die nicht gestreuten Eisstellen des Heimweges. Was bleibt, sind Prellungen an den Hüftknochen, Flecken, die morgen blau, übermorgen grün und danach gelb anlaufen werden. JANE FRÄNZEL