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Archiv-Artikel

Eifern für die Rentenkasse

Die Altersvorsorge soll Bushs neues innenpolitisches Schlachtfeld werden. Auch wenn er Texas damit schon ruiniert hat

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

„Die Krise ist jetzt.“ Dieser Satz ist für Präsident Bush seit dem Wahlsieg im November zum rentenpolitischen Mantra geworden. Am Mittwoch bei seiner traditionellen Rede an die Nation hat er es wieder variiert: „Das System, so wie es jetzt ist, steuert auf den Bankrott zu“, prophezeite Bush dem Rentensystem, dem Social Security System,und fordert einen radikalen Umbau.

Dieser Plan ist sein wichtigstes innenpolitische Projekt für die nächsten vier Jahre. Es sieht vor, dass jüngere Arbeitnehmer einen Teil ihrer Rentensteuer einbehalten und auf von Banken verwalteten Privatkonten für die Altersvorsorge anlegen können. Das Vorhaben begeistert Wall Street und Konservative. „Wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden“, drohte Bush, „müssten entweder die Steuern deutlich erhöht, massive Anleihen aufgenommen oder die Rentenzahlungen drastisch gekürzt werden.“ Solche Sätze machen viele Senioren nervös, als würde das System morgen kollabieren. Experten schütteln darüber den Kopf. Viele glauben, dass die staatliche Rentenkasse alle Leistungen über die nächsten vierzig Jahre ohne gravierende Änderungen solide zahlen kann. Selbst das „Congressional Budget Office“, eine unabhängige Prüfungsstelle im Parlament, errechnete erst vor einem halben Jahr, dass Social Security bis 2052 voll funktionstüchtig ist. Auch Mark Weisbrot vom „Center for Economic and Policy Research“ in Washington hält das System gegenwärtig für tragfähiger als in seiner gesamten 70-jährigen Geschichte.

Sicher, der Anteil alter Menschen nimmt auch in den USA zu. Doch das Problem ist weniger dramatisch als in anderen Industrienationen dank Zuwanderung junger Arbeitskräfte und dank einer vergleichsweise hohen Geburtenrate. Um die Rentenkasse auch nach 2052 ausreichend zu füllen, müssen Anpassungen vorgenommen werden, das heißt Steuern erhöhen oder Beiträge kürzen. Doch selbst die projizierte Lücke für die Zeit nach 2052 ist geringer als in der Vergangenheit und entspricht „nur einem Drittel der Summe von Bushs Steuersenkungen“, erläutert Mark Weisbrot. Auch Rentenfachmann Peter Orszag vom Brookings Institute ist überzeugt, dass Social Security auch in Zukunft verlässlich funktionieren kann, indem moderate Leistungskürzungen und moderate Einnahmeerhöhungen kombiniert werden. „Wer anders argumentiert, will das System nicht erhalten, sondern zerstören.“

Bushs Rhetorik erinnert an die Zeit vor dem Irakkrieg. Alarmismus wird benutzt, um eine höchst umstrittene Politik durchzusetzen. Hinter dem Eifer steckt die Idee, Risiken in Zukunft stärker zu individualisieren. Der Ansatz des „New Deal“ der Demokraten 1934 war, Risiken wie Altersarmut von der Gesellschaft aufzufangen. Doch wie jeder anständige Konservative glaubt Bush, dass die Privatwirtschaft dies besser und preiswerter kann, dass Individuen möglichst unabhängig von staatlichen Einflüssen sein sollen und die besten Entscheidungen treffen, wenn sie etwas selbst besitzen – etwa Pensionsfonds. Bush nennt dies „Ownership Society“.

Wie er sich das vorstellt, hat er bereits in Texas demonstriert. Dort schaffte er die Einkommensteuer ab, schaltete die Gewerkschaften aus und senkte massiv staatliche Leistungen. Die Folgen: In Texas besitzen 25 Prozent der Bevölkerung keine Krankenversicherung. 17,3 Prozent der Rentner leben unter der Armutsgrenze. Damit liegt Texas an der Spitze in den USA. „Texas mag ein Staat biblischer Werte sein, aber die Alten zu ehren ist dabei irgendwie verloren gegangen“, kommentiert Harald Meyerson in der Washington Post.

Bedeutet dies, dass es überhaupt keinen Reformbedarf gibt? Social Security bietet gegenwärtig vielen Alten keinen adäquaten Lebensstandard und wurde dafür nicht konzipiert. Ein Problem ist, dass untere und mittlere Einkommensgruppen zu wenig sparen können. Private Rentenkonten würden daher durchaus Sinn haben, meinen Experten wie Laura D’Andrea Tyson, Kolumnistin für Business Week und ehemals Beraterin von Bill Clinton. Diese sollten aber als Zusatz zur bestehenden staatlichen Rente gedacht sein. Ein ernsthafteres Problem stellen die betrieblichen Pensionen dar. Millionen Amerikanern sind aufgrund des Börsenabsturzes vor fünf Jahren und der Niedrigzinspolitik der US-Notenbank private und betriebliche Renten weggebrochen. Nur noch zwanzig Prozent der Arbeiter in der Privatwirtschaft können heute mit einer Betriebsrente rechnen. Ende der 80er waren es noch 40 Prozent. In den letzten Monaten erklärten einige betriebliche Pensionsfonds ihre Zahlungsunfähigkeit. In solchen Fällen droht betroffenen Rentnern zwar nicht Armut, denn eine staatlich verwaltete und von Firmen finanzierte Versicherung übernimmt einen Teil der Zahlungen – maximal 46.000 Dollar jährlich –, Angestellten mit höherem Einkommen aber eine Einbuße. Auch ist die Zukunft dieser Versicherung ungewiss, da sie ein Defizit von 23 Milliarden Dollar aufweist.

Die staatliche Rente bietet vielen Amerikanern eine Garantie. Mit Unruhe verfolgen daher Senioren – wichtige Wähler für beide Parteien – die Debatte. Auch im Kongress formiert sich Widerstand. Zwar kann Bush hoffen, denn seine Republikaner verfügen über die Mehrheit in beiden Häusern. Ohne die Stimmen abtrünniger Demokraten läuft jedoch nichts. Doch die Opposition präsentiert sich auffallend geschlossen. Bushs Rentenreform erteilte sie eine Absage. „Es wird sie nicht geben. Je eher der Präsident zu dieser Einsicht kommt, umso besser“, sagte Harry Reid, ihr Fraktionschef im Senat. Die Demokraten teilen überdies die Ansicht vieler Fachleute, dass viel dringender die staatliche Krankenversicherung für alte Menschen reformiert werden müsse, da deren Kosten dramatisch steigen.

Auch unter den Republikanern gärt es. Sozialkonservative halten das Thema für Zeitverschwendung, da es die Parteibasis nicht so aufrüttelt wie etwa die Homoehe. Konservative mit Blick auf eine strenge Fiskalpolitik sorgen sich um den Staatshaushalt. Eine Transformation vom staatlichen zum privatisierten Modell müsste vom Staat gegenfinanziert werden und würde nach Schätzungen ein bis zwei Billionen Dollar kosten. Und vielen Abgeordneten, die in anderthalb Jahren wiedergewählt werden wollen, ist das Thema schlichtweg zu heiß. Damit droht Bush das gleiche Schicksal wie Bill Clinton, dessen Gesundheitsreform 1994 im Kongress scheiterte.