: Zwei schillernde Kirchenfrauen
Erstmals könnte es eine Frau in das zweithöchste Amt der evangelischen Kirche der Region schaffen. Wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, wählt heute das Kirchenparlament entweder Viola Kennert oder Friederike von Kirchbach zur Pröpstin
VON PHILIPP GESSLER
Die evangelische Kirche der Hauptstadtregion steht vor einer fast historischen Neuerung: Wenn es nicht mit dem Teufel zugeht (und warum sollte es das?), wird die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ab heute eine Frau an zweiter Stelle ihrer Hierarchie haben. Die Synode, also das Kirchenparlament der hiesigen Protestanten, will am Nachmittag in der Friedrichshainer St. Bartholomäuskirche eine Pröpstin wählen – männliche Kandidaten stehen nicht zur Verfügung.
Mit der Wahl wird Bischof Wolfgang Huber, der als Ratsvorsitzender zugleich der Chef der gesamten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, in seiner Landeskirche eine Stellvertreterin zur Seite gestellt. Damit wird erstmals in der Geschichte dieser urprotestantischen Landeskirche eine Frau den Bischof offiziell vertreten.
Ost und West fanden sich
Der bisherige Propst Karl-Heinrich Lütcke geht nach 15-jähriger Tätigkeit in den Ruhestand. In seine Zeit fiel ein grundlegender Umbau der Kirche: Die Landeskirche war die einzige in Deutschland, in der nach der Wiedervereinigung Ost- und West-Gemeinden zueinander finden mussten. Gleichzeitig war die Kirche – wie das katholische Erzbistum, das dies aber viel zu lange verschlief – zu einem radikalen Sparkurs gezwungen.
Anfang November vergangenen Jahres war die Wahl eines Nachfolgers gescheitert. Die drei Kandidaten, zuvor von der Kirchenleitung vorgeschlagen, waren bei den Synodalen durchgefallen. Bundesweit gibt es noch andere Pröpstinnen. Besonders ist in der berlin-brandenburgischen Kirche, dass der Propst beziehungsweise die Pröpstin neben Verwaltungserfahrung sehr profunde theologische Expertise mitbringen muss, gilt der/die Amtsinhaber(in) doch als theologisches Sprachrohr der Kirche und „theologische Stellvertreterin“ des Bischofs.
Echte Alternativen
Von der Kirchenleitung vorgeschlagen für das Amt – man bewirbt sich nicht wirklich darum – wurden nun Viola Kennert und Friederike von Kirchbach. Glaubt man Insidern, geht keine der beiden Frauen als Favoritin ins Rennen, wenn die 193 Synodalen zur Wahl schreiten. Auf dieser Sondertagung der Synode ist nur dieser Tagesordnungspunkt von Belang. Es wird nicht damit gerechnet, dass erneut beide Kandidatinnen durchfallen, zumal beide durchaus schillernde Gestalten sind, die eine echte Alternative darstellen. Etwas überspitzt kann man sagen: Ost und West treffen aufeinander, eine Verwaltungsfachfrau auf eine Berliner Lokalgröße.
Friederike von Kirchbach wurde 1955 im sächsischen Gersdorf als Tochter eines Pfarrers geboren – noch heute erinnert sie sich mit Grauen an manche SED-Lehrer, die sie wegen ihrer adligen und christlichen Herkunft im Arbeiter-und-Bauern-Staat malträtierten. Dennoch studierte sie in Leipzig und Jena evangelische Theologie. Nach dem Vikariat und sechs Jahren als Landesjugendwartin der sächsischen Landeskirche wurde sie 1992 ordiniert. Danach war sie acht Jahre in Kreischau in Sachsen als Pfarrerin und Krankenhausseelsorgerin tätig.
Schon 1997 wirkte Friederike von Kirchbach am viel gerühmten, aber wenig befolgten Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen mit. Im Jahr 2000 gelang ihr dann der Sprung auf die bundesdeutsche Ebene, Friederike von Kirchbach wurde Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Sie gehörte zu den Mitorganisatoren des Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin, der für die deutsche Kirche als Meilenstein in der Ökumene gilt. Friederike von Kirchbach ist geschieden und hat drei erwachsene Kinder. Im Gespräch mit der taz sagte sie, Schwerpunkt ihrer möglichen Arbeit als Pröpstin sollte unter anderen der interreligiöse Dialog sein. Zudem wolle sie die Mitarbeiter der Kirche stärken, den Stadt-Land-Gegensatz in der Landeskirche kreativ nutzen und ihre Erfahrungen aus fast 40 Jahren Leben in der DDR in ihre Arbeit einbringen.
Viola Kennert wurde 1952 in Santiago de Chile geboren und hat in Bethel, Tübingen und Münster evangelische Theologie studiert. Nach dem Vikariat in Westfalen war sie in einer Familienbildungsstätte der Kirche in Berlin tätig. Von 1983 bis 1992 war Viola Kennert Pastorin in der „Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache bei den Europäischen Gemeinschaften“ in Luxemburg. Danach wurde sie Pfarrerin der Evangelischen Friedenskirche in Charlottenburg. Neben ihrer Erfahrung als Mitglied der Landessynode sammelte Viola Kennert bundesweite Erfahrung als EKD-Synodale. Mit ihrem Mann teilt sie sich die Pfarrstelle ihrer Gemeinde in Charlottenburg. Gemeinsam haben sie zwei Söhne im Alter von 16 und 18 Jahren.
Dieser Zeitung sagte sie, einer ihrer Schwerpunkte solle es sein, die Gemeinden im Alltag zu stärken. Sie wolle helfen, dass die Kirche noch mehr auf die Menschen zugehe, die sie noch nicht oder nicht mehr erreiche. Die „Kirche für die Zukunft“, die sie mit anderen gestalten wolle, müsse sich verstärkt mit der Problematik von Reich und Arm in der Gesellschaft auseinander setzen. Auch auf die Herausforderungen durch den Rechtsradikalismus müsse die Kirche neue Antworten finden.
Wenn nicht alles täuscht, sind die fast 200 Synodalen des Kirchenparlaments heute also in einer ebenso glücklichen wie unglücklichen Lage: Sie haben die Qual der Wahl.