: Safranfarbene Inspiration
Oranges Nylon schwerelos im Central Park: Ein großer Erfolgsdruck lastete am Wochenende in New York auf der Eröffnung des Christo-Events „The Gates“. Die Begeisterung hält sich nun leider in Grenzen: Zu massiv und industriell wirken Tore und Tücher
VON SEBASTIAN MOLL
Carl Weiss bemüht sich gar nicht erst, hochtrabende ästhetische Motive für seinen Besuch im New Yorker Central Park vorzuschieben. „Das Flugticket von Denver hat 85 Dollar gekostet“, sagt der bärtige Tourist aus Colorado, während er sich die Christo-T-Shirts im Souvenirshop am Paddelteich betrachtet. Der Mittfünfziger im Trainingsanzug macht sich zusammen mit seiner Frau ein paar lustige Tage in New York in der Vorsaison, wenn die Hotels billiger sind als an Weihnachten oder im Frühling und die Restaurants beinahe bezahlbar. Dass in seinem Reisepaket auch noch die Eröffnung der Christo-Installation „The Gates“ im Central Park enthalten ist, ist eine nette Zugabe. Noch mehr als das Erlebnis der durch Christos 7.500 Nylontücher transformierten Parklandschaft begeistert Carl jedoch den Unternehmergeist des Künstlerpaars Christo und Jeanne-Claude: „Die Tatsache, dass sie das alles selbst finanziert haben, die Energie, mit der sie ein solches Mammutprojekt organisieren und durchziehen, ist wirklich inspirierend“, meint Carl.
Und irgendwie hat Carl Recht. Christo und Jeanne-Claude sind ein globaler Zweipersonen-Kunstkonzern mit zweistelligen Millionenumsätzen und die Art und Weise, wie sie sich die Mechanismen des modernen Kunstmarkts zunutze machen, ist kaum von den Werken selbst zu trennen; zumal, wenn man deren Ereignishaftigkeit bedenkt, die die beiden ja immer stark betonen. „Die kurze Lebensdauer unserer Werke“, sagt Jeanne-Claude, „verleiht ihnen eine Dringlichkeit und ermutigt uns dazu, uns so lange wir können ausgiebig an ihnen zu laben.“ Die „Gates“, wie vor ihnen die Verhüllung des Berliner Reichstags sind Events, und zu denen gehört nicht bloß das überraschende und verstörende Erlebnis plötzlich verfremdeter vertrauter Umgebungen. Zu ihnen gehört die gesamte Produktion.
Die 20 Millionen Dollar, die Christo und Jeanne-Claude für das Projekt ausgegeben haben, stammen laut der Künstler ausschließlich aus dem Verkauf von Christos Zeichnungen. Die Zeichnungen kommen als Arbeitsskizzen für die Installation der Tore daher. Glaubhaft ist das aus zwei Gründen nicht. Erstens hat Christo die Planung der Installation beinahe vollständig in die Hand eines Ingenieurs gegeben. Entworfen hat der Künstler bloß den Gesamteindruck. Zum Zweiten hat Christo diese Arbeitsskizzen fließbandhaft bis zum Morgen der Installationseröffnung gefertigt – Arbeitsskizzen waren da schon lange nicht mehr nötig.
Doch den Kunstmarkt stört das nicht, für die echten Christos werden horrende Summen gezahlt weil sie eine Blue-Chip-Geldanlage sind. Die Christos sowie ihre Käufer beuten wissentlich und vorsätzlich die Aura des Genies und den Touch genialer Inspiration aus – auch wenn die realen Produktionsbedingungen nicht eben der Inspiration zuträglich sind.
Aber Christo und Jeanne-Claude kann man zumindest getrost glauben, dass sie die Marke Christo nur vermarkten, damit sie ihre Ideen verwirklichen können. Anders die Stadt New York, die sich von dem Christo-Geschäft zur schlechtesten Touristenzeit des Jahres ein Zusatzgeschäft von 80 Millionen Dollar verspricht. Das Carlyle-Hotel am Parkrand ist derzeit zu 75 Prozent ausgebucht, im vergangenen Jahr zur selben Zeit waren es gerade einmal 40. Das Mandarin-Oriental am Südwesteingang des Parks legt jedem Besucher ein Opernglas auf das Nachtkissen nebst einem Buch mit Christo-Drucken und verlangt zur Christo-Zeit 1.050 Dollar pro Nacht. Rund um den Park vermieten die Menschen ihre Wohnungen für Rekordpreise an Firmen, damit diese ihre Kunden mit Cocktails und einem Blick auf die orangefarbenen Parkwege bewirten können. Gereicht werden farblich zur Kunst passende Shrimps und Safransalat.
Bei derartig weitreichender Abhängigkeit der verschiedensten Industrien – von der Stadt New York bis zur Toursimusbranche und Fifth-Avenue-Firmen – war der Erfolgsdruck auf das Christo-Event naturgemäß groß. Der Besucherandrang an einem sonnig-milden Februarsamstag hielt sich jedoch ebenso in Grenzen wie die Begeisterung. Ferenc Mechler, ein in New York lebender ungarischer Hirnforscher, bemerkte etwa, dass die Materialien und die Farbe überraschend banal seien. „Das Industrienylon der Fahnen wirkt wie der Sitzbezug in Flugzeugen. Und das Orange der Fahnen ist das gleiche, das bei Bauarbeiterwesten und bei Strafgefangenenanzügen verwendet wird.“
Die Christo-Zeichnungen hatten die Erwartung von Leichtigkeit geweckt, die Erwartung dass die verschlungenen Parkwege durch etwas beinahe Flüssiges markiert werden und aus der Landschaft heraustreten. Die rechteckigen Tore und der schwere Kunststoff wirken aus der Nähe jedoch sehr massiv und sehr industriell. Möglicherweise liegt die Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität auch daran, dass die konkrete Planung und Umsetzung des Projekts in den Händen des Ingenieurs Vince Davenport lag, der betont, dass er eben kein Künstler sei. Christo selbst musste derweil ja Geld verdienen.