: Sprechen wir mal wieder über Fußmassagen
HOMMAGE AN „PULP FICTION“ Im White Trash Fast Food gibt es Laientheater mit Eyelinerstrichen, Pistolenattrappen und wunderbarer Musik: „Fast Fiction“
Endlich rettet jemand „Pulp Fiction“! Holt Tarantinos größten Treffer, der seit Jahren im Mainstream dümpelt, dessen Twist-Tanzszenen in jeder Speckgürteldisco angekommen sind und dessen Soundtrack sich im Formatradio zwischen REM und Madonna klemmt, dorthin zurück, wo er hingehört: Ins Rock-’n’-Roll-Restaurant „White Trash Fast Food“ zum Beispiel. Dort könnte man schlichtweg kaum etwas anders covern. Oder?
Die Passgenauigkeit, mit der „Fast Fiction“, das vom White-Trash-Personal nach dem Originaldrehbuch interpretierte Theaterstück, sich bei der Premiere am Mittwoch in die mit Rock-Nippes vollgestellte, alkohol- und tattooschwangere Luft des Clubs schmiegt, ist verblüffend: Über dem Tisch von drei schnieke verzierten Rockabella-Grazien, die bei Burger und Pommes ihre Eyelinerstriche blitzen lassen, hängt unauffällig ein Mikrofon, das nach zehn Minuten Eingangsfilmsequenz angeschaltet wird und die Mädchen als Schauspielerinnen entlarvt. Sie sprechen „Pulp Fiction“-Texte, die von den „Vincent Vega“- und „Jules Winnfield“-Doppelgängern aufgenommen und weitererzählt werden. Lose meint man die Handlungsstränge des Films zu erkennen: Die Kopfgeldjäger mit ihren lakonischen Dialogen über Fußmassagen und Frauen, ein Pärchen-Überfall auf ein Diner, später die Geschichte mit dem Boxer Butch, der von Bruce Willis gespielt wurde, und seiner Freundin.
Dann wird eine netzbestrumpfte Frau erschossen und strippt sich im blutigen Todeskampf bis auf die Pasties runter, ein schizophrener Kellner in Damenkleidung spricht die Honeybunny- und Pumpkin-Überfallszene in zwei Stimmlagen allein, zwischendurch covern Becky Lee und Fearless Bob als Duo an drei Instrumenten (Sängerin und Gitarristin Becky Lee spielt mit der einen Hand kongenial Simultanschlagzeug) auf einer kleinen Bühne Pulp-Fiction-Hits.
Wie die durcheinanderkugelnde Handlung in den mit schmatzenden, trinkenden und lachenden Gästen gefüllten Laden eingewoben wird, wie mit Brusthaarbemalung verzierte Kellner mitspielen und sich das Geschehen um die Tische herum entwickelt, begleitet von Live-Video-Cams, die alles auf zwei gegenüberhängende Leinwände projizieren, ist amüsant, trashig und glücklicherweise weit entfernt von der touristenaffinen Perfektion eines „Pump Duck and Circumstance“. Hier sind Fans am Werk, mit und ohne Schauspielausbildung und -talent, denen die Freude anzumerken ist und die voller Elan über Verständigungs- und Soundprobleme hinwegbollern. Der nicht immer rührende Schülertheatercharme und die diffuse Karaoke-Atmosphäre lassen einen allerdings zwischendurch ab und an Längen durchseufzen und nach dem nächsten Bier dürsten: Den Lieblingsfilm nachzuspielen, der bereits im Original außergewöhnlich und nicht besser zu machen ist, funktioniert eben vor allem als Hommage, weniger als originäre Idee. Am besten ist die White-Trash-Crew darum auch immer, wenn sie eigenmächtig die Konstellationen ändert, dem Boxer Butch zum Beispiel später, im zweiten, in den Kellergewölben der „Diamond Lounge“ stattfindenden Teil, anstatt seiner süßen Franzosenmaus eine süße spanische Transe aufs Bett legt. Oder tapfer versucht, Szenen aus anderen Lieblingsszenen wie Jim Jarmuschs „Mystery Train“ oder Tarantinos „Reservoir Dogs“ einzuflechten. Leider passiert das viel zu selten. Und so bleibt „Fast Fiction“ auf einer charmanten, partywilligen Oberfläche haften, erfüllt damit jedoch genau das, was die Rock-Crowd erwartet und erfreut: Buntes, mit Filmblut, Tätowierungen, Pistolenattrappen und wunderbarer Musik ausstaffiertes Laientheater, und als Beilage Bier und Burger. JENNI ZYLKA
Weitere Aufführungen: 19., 20. und 24., 25., 26. und 28. Juni, jeweils um 20 Uhr im White Trash Fast Food, Schönhauser Allee 6–7