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Archiv-Artikel

Der Westcoast-Patriarch

Mit einem Zungenschnalzen liefert Snoop Dogg HipHop für Viva und MTV. Bei seinem Auftritt in der ausverkauften Arena spielte er einmal mehr sehr überzeugend die Rolle des entertainenden Pimps

VON CHRISTIANE RÖSINGER

So ein HipHop-Konzert ist doch immer eine schöne, aber auch langatmige Sache. Aus allen Richtungen zieht es am Sonntagabend schlurfende Kleingruppen mit hängenden Hosen und Camouflagejacken Richtung Arena. Eiswagen und Krankenwagen stehen bereit, die Polizei bewacht sogar die nahe gelegene Aral-Tankstelle.

Vor der Spree sammelt sich die Menge, wird von nervösen Sicherheitsmitarbeitern in Absperrgitter dirigiert und wie eine Viehherde zur Halle geleitet. Glas knirscht unter den Füßen, Flaschen rollen über das Pflaster, sämtliche Wohlgerüche der Hanf anbauenden Länder ziehen durch die Luft. Überhaupt scheint alles ein wenig aufgeladener, gefährlicher als sonst. Aber schließlich ist ja Snoop Dogg in Berlin!

Man muss es dem findigen Geschäftsmann hoch anrechnen, dass er neben seinen zahlreichen Tätigkeiten als Schauspieler, Softpornoproduzent, MTV-Mitarbeiter, Schuhkollektionbetreuer, Modelabelchef, Plattenlabelboss und dreifacher Familienvater noch Zeit für Europakonzerte findet. Ach ja, Mann und Frau mussten sich in den letzten Jahren an vieles gewöhnen im HipHop: an Videos, die nur noch aus glänzenden weiblichen Leibern bestehen, die sich in sexuellem Notstand unterwürfig um fette Goldkettenträger winden; und an Texte, die Vergewaltigung und Schläge als Verhaltensmuster im menschlichen Miteinander okay finden, und dann – Ironie, Ironie – war doch alles gar nicht so gemeint.

Man hat gelernt, Gangsta und Zuhälter im amerikanischen HipHop als mythische Figuren zu deuten, als Archetypen zu verstehen, wie etwa die Hexe im Brüder-Grimm-Märchen, und die Verwendung sexistischer Sprachcodes als Teil der gängigen Inszenierungspraxis zu tolerieren. Das ganze Zuhältergetue kann so mit etwas Fantasie und utopischem Denken als Ausdruck einer existenziellen Krise des heterosexuellen Mannes gesehen werden. Das wirkt immerhin glamouröser, als permanent den unsäglichen Sexismus im HipHop anzuprangern.

Und Snoop Dogg, der Dogfather des Westküsten-Hiphop, erfand immerhin zusammen mit Dr. Dre den G-Funk. Er erfreut uns auch mit seinen stets bekifften Reimen und seinem unnachahmlich nasalen Singsang. Im Dezember erschien das elfte Snoop-Album „R & G: The Masterpiece“ – The Neptunes, Lil' Jon, Bootsy Collins und Justin Timberlake wirken darauf mit. Der Höhepunkt des Albums, „Drop it like it hot“, ist zurzeit mehrmals stündlich auf MTV und Viva zu bestaunen. Ein meisterhaft minimales Stück Musik, das im Wesentlichen aus einem Zungenschnalzen, einem Snare-Drumschlag und den coolsten nachlässigen Raps besteht.

Aber vor den Hauptact hat Gott am Sonntag die Vorband und davor die Vorvorband gesetzt. So kommt nach Stunden erst der neue Schützling der Westcoast-Patriarchen Snoop und Dr. Dre auf die Bühne. „The Game“ nennt sich der hoffnungsvolle junge Künstler. Doch der langweilt bald. Allzu stereotyp ist seine Totenklage um Tupac und Notorious BIG, allzu dumpf und grob sind seine Beziehungstipps: „Tell da bitch to suck your dick“! Da ist dann auch das Publikum schon weiter und mag nicht richtig mitgehen, auch Gangsta-Ansagen mit Lokalkolorit wie „I stole a peace of the Berlin wall“ können die Stimmung keineswegs rumreißen.

Danach aber wird künstliches Grün auf die Bühne geschafft, werden Verstärker und Schlagzeug aufgebaut, und endlich schlendert Snoop Dog im karmesinroten, locker fallenden Pelzblouson lässig auf die Bühne. Seine Band, die „Snoopadelics“ samt DJ, legen los, und sofort ist alles da, was man an Snoop schätzt: knarziger Funk, Hohn und Abgeklärtheit in der Stimme, Eleganz im Auftreten.

Bald stimmt Snoop Dogg seine großen Hits und Evergreens an: „Beautiful“, „Who I am“. Die Hände sind oben, der Saal ist mit ihm, und erstaunlich synchron und timinggenau ergänzt die Gemeinde das unvergessliche „I’m a motherfucking P.I.M.P.“ an der richtigen Stelle. Sämtliche Singspiele werden aufgeführt, der munter unaufgeregte Mann auf der Bühne und seine Mitstreiter zitiert Mayfield, stimmt Klassiker wie „Who's upside your head“ an.

Doch nach dreieinhalb Stunden in der ausverkauften Arena franst die Fangemeinde an den Rändern aus, immer mehr Fußkranke und Kreislaufschwache lagern auf dem Boden. Wo vorher ein Betrunkener mit hängendem Kopf saß, liegt jetzt eine verdächtig bröckelige Lache auf dem Boden. Junge Mädchen kauern auf Mauervorsprüngen zusammen, rauchen konzentriert und gelangweilt eine Zigarette nach der anderen. Besorgte Väter suchen einen Rückzugsraum für ihre erschöpften Kinder. Ganz am Ende gibt es mit „Drop it like it's hot“ noch mal einen Höhepunkt, dann öffnen sich die großen Hallentüren, alle dürfen nach Hause gehen.