: BKA-Alarm: Chaos in Kiew
Kommissar des Bundeskriminalamts im Visa-Untersuchungsausschuss: Behörde war schon früh über Visa-Missbrauch in Ukraine informiert. Frühe Fischer-Aussage erneut von Rot-Grün blockiert
BERLIN taz ■ Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) haben gestern die schweren Vorwürfe der Opposition gegen die rot-grüne Visumpolitik weitgehend bestätigt. Ein Hauptkommissar machte im Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags deutlich, dass es der organisierten Kriminalität gelungen sei, im großen Stil Sichtvermerke für die Einreise in die Bundesrepublik zu erschleichen – mit Hilfe rot-grüner Reiseerleichterungen. Es habe frühe Informationen über den Verdacht des Missbrauchs gegeben. Schon im Jahr 2000 hätte das BKA Erkenntnisse erhalten. Man habe deshalb in engem Kontakt mit der Botschaft in Kiew gestanden. Die Schleuser, die Zug um Zug vom BKA als auffällige Personen identifiziert wurden, so sagte der Kriminalhauptkommissar Lars Rückheim, „verwendeten ab Mitte des Jahres 2001 Reiseschutzpässe“. Rot-Grün hatte solche Pässe zugelassen und per Erlass dafür gesorgt, dass mit ihnen ohne weitere Kontrollen durch das Botschaftspersonal Einreisen möglich waren. Rückheim bestätigte, dass das BKA Mitte 2001 das Innenministerium von seinen Erkenntnissen unterrichtete. Der taz liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass sich Innenminister Otto Schily (SPD) über die Vorgänge auf dem Laufenden halten ließ. Im März 2003 hatte Außenminister Joschka Fischer die umstrittene Visumpraxis beendet.
Den Antrag der Union, den Außenminister Mitte April anzuhören, lehnte die rot-grüne Mehrheit des Untersuchungsausschusses gestern erneut ab. Auch das Ansinnen der FDP, Fischer und mit ihm Innenminister Schily bereits in die nächste Sitzung vorzuladen, scheiterte. Aus Nordrhein-Westfalen, wo im Mai Landtagswahlen anstehen, war auch von der SPD-Spit- ze der Wunsch nach einer schnellen Aussage Fischers geäußert worden. Fischer selbst sagte gestern: „Sie werden in den nächsten Tagen ein paar sehr klare Worte von mir dazu hören.“ Allerdings nicht im Ausschuss, sondern mutmaßlich beim Grünen-Parteitag am Samstag in Köln.
Der so genannte Wostok-Bericht, über den der BKA-Mann gestern im Ausschuss berichtete und der der taz vorliegt, fasst die Täterstrukturen des Schleusertums und auch einzelne Taten zusammen. Darin ist unter anderem festgehalten, wie die Schleuser ukrainische Frauen zur Prostitution zwangen. Auch der Missbrauch von Reiseschutzpässen durch Terroristen wird beschrieben, etwa von mutmaßlichen Attentätern auf das Moskauer Musicaltheater Nordost. Sie benutzten laut Wostok (Osten) jene Dokumente, mit denen Rot-Grün die Visapraxis „transparenter und bürgerfreundlicher“ (so Fischer im April 2000) gestalten wollte. CHRISTIAN FÜLLER
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