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Archiv-Artikel

Das Studium des Freiraums

Seit über einem Jahr bietet die Offene Uni den unterschiedlichsten Initiativen Raum. Doch das im letzten Unistreik entstandene Projekt ist bedroht. Die Leitung der Humboldt-Universität will die Basisgruppen umsetzen. Die aber hängen an ihrem Haus

VON PETER NOWAK

„OUBS“ steht in großen Lettern auf dem Transparent über dem Eingang. Es ist von Wind und Wetter leicht gegerbt. Drinnen rufen politische Plakate zum Widerstand gegen alte und neue Nazis, die Atomlobby, Hartz IV und andere Bösartigkeiten dieser Welt auf. Nur an der Toilettentür findet sich Platz für die unmittelbaren Bedürfnisse: „Wer putzt, trägt sich hier ein“. Das Gebäude im Schatten des Charité-Turms strahlt den Charme besetzter Häuser von Anfang der 80er- oder 90er-Jahre aus. So ganz falsch ist der Eindruck nicht. Die Offene Uni Berlins (OUBS) ist tatsächlich Produkt einer Besetzung. Und ganz wie ein echtes besetztes Haus ist das Projekt von Räumung bedroht.

Während des Unistreiks im Wintersemester 2003/04 hatten Studierende im Ostflügel der Humboldt-Uni ein Aktionszentrum eingerichtet. Dort wurden Transparente gemalt, Flugblätter und Wandzeitungen gedruckt sowie die alltäglichen Straßenaktionen vor- und nachbereitet – und am 15. Dezember 2003 wurde hier die Offene Uni gegründet. Sie veranstaltet Projekte und Seminare ohne Zugangsbeschränkungen. Nach einem Abiturzeugnis fragt hier niemand.

Letzter Rest vom Unistreik

Die OUBS ist das einzige der einst zahlreichen Projekte, das vom Unistreik übrig blieb. Schon Anfang Januar 2004 hatte eine Vollversammlung der HU-Studierenden nach heftiger Debatte die Rückkehr zum normalen Unibetrieb beschlossen. Aber eine aktive Minderheit machte einfach weiter – vor allem viele der gerade politisierten Erstsemester. „Nach den ständigen Aktionen wollten wir nicht einfach wieder für die Klausuren büffeln“, erzählt Islamwissenschaftsstudent Matthias. „Wir hatten aus den Streikwochen das Gefühl mitgenommen, gemeinsam etwas auf die Beine stellen zu können und mehr als nur anonyme Masse in den überfüllten Hörsälen und Mensen zu sein.“

Die Unileitung erwies sich als kooperativ. Die ersten Wochen bezog die OUBS zwei Räume im Hegel-Gebäude hinter dem HU-Haupthaus. Als das wegen anstehender Renovierung geschlossen wurde, bot die Unileitung ein leer stehendes Haus auf dem Nordcampus in der Nähe der Charité als Ausweichquartier an. „Wir konnten zunächst kaum glauben, dass wir so viel Platz haben sollten“, erinnert sich Timo, Architekturstudent und OUBS-Aktivist der ersten Stunde.

Doch es war auch kein Problem, den Platz auszufüllen. Mittlerweile wurden Seminar- und Veranstaltungsräume, ein Kinosaal, ein Computerraum, eine kleine Bibliothek, ein Foto- und Filmlabor, ein Kinderzimmer, Werkstätten, Übungs- und Partyräume eingerichtet. Dass nur ein Bruchteil der Studierenden den Ort überhaupt kennt, stört die OUBS-AktivistInnen nicht. Schließlich habe man Kontakte zu aktiven KommilitonInnen aus sämtlichen Berliner Hochschulen und zu vielen nichtuniversitären Initiativen.

So trifft sich beispielsweise am Mittwoch in einem Raum die Arbeitsloseninitiative Piqueteros, um „Alternativen zur autoritären Arbeitsgesellschaft“ zu suchen. Nebenan plant das Antikriegsbündnis Achse des Friedens den nächsten Ostermarsch – und zeigt einer verirrten Studentin auch den Weg zum Veganismus-Workshop, der eine Etage tiefer stattfindet. Wenn der zu lange dauert, klopfen schon mal die kritischen WirtschaftswissenschaftlerInnen an die Tür, die im Anschluss denselben Raum für ihre Treffen nutzen. Auch das Obdachlosentheater Die Ratten probt hier. Und eine Energieberaterin bietet einen wöchentlichen Fachvortrag zum Thema Lüften an.

„Das hat nichts mit Spielwiese zu tun“, sagt Morus Markad, Privatdozent an der Psychologischen Fakultät der HU. Vielmehr gehe es bei der OUBS darum, exemplarisch Freiräume für die Reflexion des Verhältnisses von Erkenntnis und Interesse zu schaffen und damit gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft ernst zu nehmen. Morus ist einer der wenigen Hochschuloffiziellen, die schon mal in die Räume der OUBS gefunden haben. Ein anderer ist Peter Grottian. Der FU-Politologe und Protestmentor hat bei der OUBS verschiedene Treffen gegen Hartz IV und Sozialabbau besucht. „Als Teilnehmer“, betont Timo. „Er musste sich wie alle anderen an die Redezeit halten.“

Etablierte Institutionen werden auf Distanz gehalten. Die Globalisierungskritiker von Attac wollten in der OUBS ein festes Büro einrichten. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Feste Raumbelegung würde den Charakter des Hauses ändern, fürchten viele AktivistInnen. Dann entstünde ein zweites Haus der Demokratie, die Offenheit ginge verloren.

„Hier können unterschiedliche Ansätze nebeneinander stehen“, sagt Richard. Der Erwerbslose ohne Abitur, der vorher nie eine Universität von innen gesehen hatte, stieß schon in den ersten Tagen nach der Gründung zur OUBS. Mittlerweile ist er täglich mehrere Stunden dort und erledigt auch viele organisatorische Arbeiten. Auch Mattias, der die OUBS als autonomes Bildungszentrum betrachtet, sieht in der Vernetzungsfunktion die eigentliche Bedeutung.

Die grenzenlosen Toiletten

Natürlich bleibt auch die Offene Uni nicht von innerlinken Szenedebatten verschont. So versuchte eine trotzkistische Kleingruppe, im wöchentlichen OUBS-Plenum eine Debatte über die proisraelischen „Antideutschen“ anzuzetteln – vergebens. Selbst in den Toiletten wurden alte Barrikaden überwunden. Im Rahmen einer Gendernacht sei vor einigen Wochen die Trennung in Frauen- und Männerklos aufgehoben worden, erzählt die Kulturwissenschaftsstudentin Jasmine.

Doch mit der Offenheit könnte es bald vorbei sein. Die Leitung der HU möchte die Offene Uni schließen – zumindest am bisherigen Standort. Dort soll ein wissenschaftliches Zentrum einziehen, dass sich der Erforschung der Denkprozesse widmet. „Am 31. März muss das Haus geräumt sein“, sagt Frank Everslage. Der HU-Vizepräsident betont aber auch, man wolle die Arbeit der Offenen Uni in keiner Weise behindern. Deshalb habe man ein Ersatzobjekt in unmittelbarer Nähe angeboten – kostenfrei bis 2009. Dort müssen aber Heizung und Stromnetz repariert werden. Das dauert ein halbes Jahr. Derweil könne die OUBS dort schon ihr Inventar lagern und fünf Räume in einem anderen Unigebäude nutzen, erklärt Everslage. Wenn das einmalige Angebot aber ausgeschlagen werde, „ist das Projekt auf dem Universitätsgelände beendet“, stellt der HU-Vizepräsident klar.

Die debattierfreudigen OUBS-Aktivisten haben sich noch nicht auf eine Antwort einigen können. Viele denken wie Matthias: „Solange wir kein gleichwertiges Haus bekommen, bleiben wir einfach hier drin“. Dann wäre die OUBS wieder ein besetztes Zentrum wie in den Tagen der Gründung. Manche suchen auch nach einer anderen Variante. „Wir halten uns alle Optionen offen“, gibt sich Matthias diplomatisch.

Die OUBS befindet sich in der Philippstraße 13 in Mitte. Am Samstag stellt sie sich im Rahmen einer Langen Nacht vor. Dabei führt auch das Obdachlosentheater Die Ratten sein neues Stück auf. Weiter Infos unter www.oubs.tk