: Start up, break down, come back
Vor fünf Jahren galt die Chausseestraße als Silicon Alley. Hier verprasste die New Economy ihr Wagniskapital. Dann platzte die Dotcom-Blase. Heute sind die Mieten der Fabriklofts so niedrig, dass selbst Internetfirmen sich hier wieder Büros leisten können
VON JOHANNES GERNERT
Eckart Ritter und sein Partner hatten eine Idee. Es war eine einfache Idee für einen Betrieb alter Art, aber ungewöhnlich für die New Economy. Eine Idee, die ihnen kurzfristig ein bisschen Geld eingebracht hat und langfristig dafür gesorgt, dass die beiden Unternehmer jetzt eine Firma namens xx-well.com haben – immer noch. Sie hatten ihre Idee, als die Zeit der großen Ideen eigentlich schon eine Weile vorbei war. Deshalb war es auch eher ein kleiner, ein bescheidener, aber trotzdem wirksamer Einfall. Er hieß: Kurzarbeit. „Dass man auch mit so einer Internet-Bude kurzarbeiten kann, darauf ist damals einfach keiner gekommen“, sagt Eckart Ritter, der xx-well.com-Vorstand.
Die anderen gingen Pleite. Ritters Firma hat das verkürzte Arbeiten vermutlich das Leben gerettet. Sie musste niemanden entlassen, als die schillernde Dotcom-Blase geplatzt war. Und heute wird wieder ganz normal gearbeitet. Sie sind gerade sogar umgezogen, zurück in die Chausseestraße 8, dahin, wo sie vor der Jahrtausendwende angefangen hatten maßgeschneiderte Diätpläne im Internet zu verkaufen. Das war die erste Idee gewesen, der Gründungsgedanke. Zwischenzeitlich hatten sie ihre Büros ein paar Schritte weiter im Hinterhof eines eher grauen Gründerzeithauses. Die Fabriketagen waren zu teuer geworden.
Wenn Eckart Ritter jetzt bei „Sarah Wiener“ sitzt, jener New-Economy-Kantine, auf den Innenhof der alten Lokfabrik schaut und vom Gründerfieber in der Chausseestraße erzählt, dann hört sich das alles sehr weit weg an. „Hier, wo heute alle artig Salat essen, da verging damals kaum ein Tag, an dem nicht Champagner getrunken wurde“, sagt Ritter und dreht die Nudeln auf seinem Teller. Selbst im Spar haben sie den verkauft. „Ein Regalmeter Champagner, normale und Magnum-Flaschen“, sagt er. Nichts konnte niemandem groß genug sein. Eine unglaubliche Euphorie sei das gewesen. Und natürlich hätte man zwischendurch manchmal gedacht: „Das kann doch eigentlich nicht sein.“ Andererseits: „Man wäre dumm gewesen, wenn man nicht mitgemacht hätte.“
Es gab Geld damals, viel Geld, für so ziemlich alles, was sich irgendwie interessant anhörte und als Firmenname einmal auf .de oder .com enden würde. Investoren liebten das Wagnis, denn es versprach große Rendite. Die Chausseestraße war die erste Adresse für Internetideen. Abends wurde oft auf den Dächern über den frisch angemieteten Fabriketagen gefeiert. Recht dekadente Partys mit Türstehern, Catering und Live-Bands. Man nannte die Straße „Silicon Street“ oder noch besser: „Silicon Alley“. Die Bild behauptete: Wer sich hier niederlässt, ist binnen Wochen Millionär.
Alles war voller toller Ideen. Ritter erinnert sich noch an manche: Bedienungsanleitungen wollten einige im Internet anbieten, damit man zu Hause keine mehr aufheben muss. Man hätte dann einfach im Netz nachsehen können, wie genau der Videorekorder programmiert wird. Andere wollten auf einem Online-Marktplatz kubikmeterweise mit dem freien Platz auf Lastwagen handeln. „O. k., ist nett und pfiffig“, kommentiert Ritter das heute. „Aber braucht man das wirklich so dringend? Wie groß ist die Wertschöpfung. Und: Wie viel zahlen Sie dafür?“ Solche Fragen haben damals nur wenige gestellt. Zu langweilige Fragen für eine so aufregende Zeit.
Als die Investoren realisierten, dass Wagniskapital vor allem große Verluste bedeutet, wurde plötzlich vielen Ideen das Geld gesperrt. Dem Rausch folgte die langsame Ausnüchterung. „Ein mehrstufiger Prozess“, sagt Tim Schwarz, der zu dieser Zeit noch bei seiner Kopfjägeragentur headstep.de für IT-Firmen Personal gesucht hat. „Zuerst werden 28 total sinnlose Zeitungsabos gekündigt. Dann gibt es kein Mitarbeiter-Frühstück mehr. Die ersten Leute werden entlassen“, schildert er den gängigen Abgang. Zuletzt schraubt man das Firmenschild wieder ab. Und selbst die, die überlebt haben, so wie xx-well.com, sind zwischenzeitlich verschwunden, weil die Mieten mit den feucht-fröhlichen Online-Träumen den Sternen entgegengeschossen waren.
„Es dachten ja alle, es werden permanent neue Firmen gegründet und 100 Millionen Leute ziehen hier ein“, sagt Schwarz. Bei solch einem Ansturm wären die Büroflächen wirklich knapp geworden. Aber als nach und nach alle wieder kündigten, erwiesen sich die Mietpreise als genauso überzogen wie die Erwartungen an manchen Interneteinfall.
Auch Tim Schwarz ist wieder zurück in der Chausseestraße 8, nicht mit seiner alten Firma allerdings. Headstep.de musste Konkurs anmelden. Wenn überall entlassen wird, braucht keiner mehr Headhunter. Schwarz war für kurze Zeit ein kleiner Startup-Star gewesen, weil er ein bisschen offensiver war als die anderen. Die nannten die professionelle Personalsuche „executive search“. Er nannte sich Headhunter. Vor allem die Wirtschaftszeitungen berichteten über ihn. Er wurde auf dem Dach beim Telefonieren fotografiert. „Als würde man als Headhunter ständig auf dem Dach stehen und telefonieren“, sagt Tim Schwarz. Es war alles ein bisschen unwirklich. Er ist im Jaguar zur Arbeit gefahren. Jetzt fährt er Fahrrad.
Er arbeitet an einem Schreibtisch in einem Großraumbüro, einen Stock unter xx-well.com. Der Parkettboden glänzt wie in all den anderen Lofts. Hinter einer Glassscheibe verhandeln einige Kollegen mit einem „Onkel von Gmx“. An der Wand hängt ein Schild, darauf steht: „Lomex Media“. Es sieht aus wie in einem Internetcafé. Computer-Kids schauen auf Bildschirme, die auf zwei großen Tischgruppen im Kreis angeordnet sind. Einer steuert mit seiner Maus die Beine einer pornografisch nackten Frau durch ein Video. In der Ecke steht ein Kicker. Der ist neu. „Ein Klassiker der New Economy“, sagt Schwarz. „Mittlerweile haben wir gedacht: Man kann es wieder bringen.“ Am Freitagabend, sagt er, sehe es bei Lomex so aus, wie man das von früher kennt: leere Pizzakartons, ein Kasten Bier. „Die Mädels gehen, die Jungs bleiben.“ Es wird gezockt und gekickert.
Lomex Media ist eigentlich ein Kind aus Katertagen. Nach dem Ende von headstep.de fing Schwarz mit einem Kollegen neu an, der gerade bei mytoys.de aufgehört hatte. Sie wurden Content-Provider, Internet-Inhaltsverkäufer. Das erste Büro war ein Wohnzimmer, das zweite eine kleine Wohnung mit großer Küche. Da waren sie schon zu siebt. Zurzeit arbeiten an die 20 Leute für Tim Schwarz und seine Partner. Sie sorgen etwa dafür, dass täglich die Brüste eines „Startseitengirls“ auf Bild.de zu sehen sind. „Wir liefern dafür 40 Mädels mit Galerien und Storys.“ Sie texten dazu Dinge wie „Monis Moppel-Show“ und lassen sie fragen: „Willst Du alles von mir sehen?“ Für Vodafone machen sie ein Handy-Quiz. Die Mitarbeiter fangen oft über Praktika an. Es gibt einige Praktikanten bei Lomex Media. Manche würden danach übernommen, sagt Schwarz. „Das ist keine reine Maulhurerei.“
Im Computerabsturz nach dem Internethype kann er mittlerweile auch etwas Sinnvolles sehen. „Erzieherisch war das gut, man wird dazu geschult, ein verantwortungsvoller Unternehmer zu sein“, findet Schwarz. Die Kleidercodes haben sich dadurch geändert, das freut ihn auch. Er hatte vor dem Kopfjagen als Unternehmensberater gearbeitet, im Anzug. Jetzt trägt er Puma-Turnschuhe, Jeans und eine beige Weste. „Ich habe lieber Leute mit bunten Haaren und lauter Kopfhörer-Musik um mich, als über die Flure einer Sparkassenfiliale zu kriechen.“
Tim Schwarz sagt inhaltlich oft dasselbe, was auch Anzugmenschen sagen könnten, wenn er von Gesellschaftereinlagen, Eigenkapitalfinanzierung oder Unternehmensbewertung spricht. Aber er sagt das alles wie ein Turnschuhträger. Irgendwie lockerer.
Es ärgert ihn, dass er in letzter Zeit das Gefühl hat, „es scheint langsam wieder loszugehen“. Vieles, was „unter Schmerz“ gelernt worden sei, hätten manche offenbar schon vergessen. „Das führt dazu, dass man teilweise wieder an so einen Schwachsinn glaubt, der erst vor fünf Jahren furchtbar gecrasht ist“, sagt er. Damals sei es manchmal lächerlich leichtsinnig zugegangen, gemäß dem Motto „Oh, eine Powerpoint-Präsentation! Wie viel Geld wollen Sie denn?“
In der Chausseestraße sind außer Schwarz und Ritter von früher nicht viele übrig. xx-well.com scheint das einzige Unternehmen mit Internet-Endung. Die Werber von Scholz & Friends haben hier ihre „Holding“ sitzen, aber die Ideen haben sie woanders. Econa und aperto sind noch da, die Scholz’schen Internetinvestitionsableger. Aber neben den bunten Firmenschildern hängen viele kupferfarbene Rechtsanwaltstafeln. Das einzige Medienunternehmen in der Nummer 5 heißt KNA: Katholische Nachrichtenagentur.
Nach Geld sehen die Kaffeeshops und Thailänder der „Silicon Alley“ nicht aus. Der Spar mit dem Champagner hat längst Pleite gemacht. In der „Kleine Kneipe“ genannten kleinen Eckkneipe sitzen dicke Männer mit roten Gesichtsadern vorm Bier und sagen, beruhigend nüchtern, dass es in der Chausseestraße zwar einen Handy-Laden gebe, aber mit Sicherheit keine Internetfirmen. Auch vor fünf Jahren habe es die nicht gegeben. „Dit hätte man ja jesehen.“