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Archiv-Artikel

„Erlösung ist kein Ziel“

Er ist der neue Star der schwedischen Krimiautorenszene: Arne Dahl. Was ihn vom Gottvater der Bestsellerlisten, Henning Mankell, unterscheidet, ist dies: sein Glaube an ein Besseres

VON JAN FEDDERSEN

Ein Star könnte anders aussehen. Arne Dahl nimmt sich am Empfang der nordischen Botschaften in Berlin eher wie ein Tourist aus, der seine geklauten Papiere ersetzen lassen möchte. Wuscheliges Haar, ein Gesicht wie aus einem Bildband über Naturburschen, blau die Augen, eher verhaltene Stimme. Er sagt also leise Guten Tag und lächelt. Von sich selbst sagte er einmal in einem Interview, eher scheu zu sein und die Öffentlichkeit nicht besonders zu mögen.

Aber er hat es sich ja selbst eingebrockt, nun von Interesse zu sein. Vier Kriminalromane von ihm sind ins Deutsche übersetzt worden, der letzte, unter dem Titel „Tiefer Schmerz“, wurde und wird von deutschen Buchhandlungen bereits in Stapeln vorab bestellt: Dahl wird zum Beststeller. Freut ihn das? „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, na, das habe ich nicht gewollt.“

Dahl heißt eigentlich Jan Arnald und ist in schwedischen Literaturkreisen eine angesehene Nummer, Herausgeber zweier Magazine, Essayist und Autor, ausgewiesener Kenner nicht nur der schwedischen Literatur, aber vor allem dieser. Strindberg, Mårtinsson, Lagerlöf, Bellmann. Doch er wollte mehr, sagt er, wenigstens prüfen, ob sich mit anspruchsvollen Mitteln Unterhaltung produzieren lässt – literarischer Stoff, der auch Menschen interessiert, die das Wort Diskurs für falsch geschrieben halten, weil die Vokabel doch gewiss ein Wurfgerät bezeichnet. Jedenfalls war sich Dahl keineswegs sicher – und entschied sich, seine literarische Zweitkarriere unter einem Pseudonym, dem schwedischen Allerweltsnamen Arne Dahl, zu beginnen.

Für seine Krimireihe begann er 1997 zu recherchieren, „Misterioso“ hieß der Roman schließlich, in dem drei Geschäftsleute bestialisch hingerichtet werden; auch die nächsten beiden Arbeiten, „Böses Blut“ und „Falsche Opfer“ leben von einem unbegreiflich blutigen, gewalttätigen Szenarium – und immer steht im Zentrum aller Morde der Schmerz und wie Opfer, wie Täter unter ihm leiden – und die Produktion des gefürchtetsten Gefühls zugleich immer wieder befördern. Im jüngsten Krimi, „Tiefer Schmerz“, schildert Dahl akkurat, ja detailverliebt, wie das erste (und weitere) Opfer dadurch zu Tode kommt, dass es einen Draht durch die Schläfe in den Kopf gezogen bekommt, dort hinein, wo das Schmerzzentrum sitzt. Obendrein wird das Ouvertürenopfer, fies voll gepumpt mit Kokain, im Zoo von Stockholm von koksberauschten Vielfraßen fast restlos vertilgt.

Muss denn diese Gewalt sein, ist es nötig, diese Exzesse des Bösen zu schildern? Dahl schweigt zunächst. Und sagt nach einer halben Minute: „Ich weiß nicht, aber für mich gehört Gewalt in diese Welt. Ich billige sie ja nicht, aber ich muss beschreiben, wozu Menschen fähig sein können. Und was sie treiben kann, wenn man sie treibt.“ In einer solchen Bemerkung schimmert Verwandtschaft durch; mit dem erfolgreichsten schwedischen Autor Henning Mankell ohnehin, aber auch mit Kollegen wie Åke Edwardson oder Kerstin Ekman. Doch Dahl unterscheidet vom erfolgreichsten der Schweden, Mankell, ein Umstand, der seine Geschichten auf eine gewisse Art unbehaglich sein lässt: Ihm fehlt es an Melancholie, an dieser Geisteshaltung, die überall Verschwörungen der bösen Welt und die Verderbtheit der Globalisierung wittert. Dahl hingegen verortet das Böse auch – aber es liegt bei ihm komplizierter.

Schilderungen von Hass, von Vergeltung und Rache finden sich auch bei ihm. Aber während Mankells Held, Kurt Wallander, ob der irgendwie schlimmer zu werdenden Welt mehr und mehr zu verzweifeln scheint, älter und zauseliger, grauer und resignierter wird, setzt Dahl dem Bösen ein A-Team entgegen. So heißt die Ermittlergruppe, die der Autor auf alle Spuren setzt, deren Mitglieder eine Art Supreme Court abgeben: Auserwählt ihrer Fähigkeiten wegen, fleißig, fähig, alle modernen Techniken einzusetzen – und nichts als dem Sieg über das Kriminelle verpflichtet. Dahl vermag es außerdem, alle Figuren durch eine feine Charakterisierung zu skizzieren – auch dies anders als bei den Bewohnern der Romane Mankells. „Sie alle haben ein starkes Eigenleben, sie sind nicht perfekt, sie handeln schief und gerade, sie haben ihre schönen Leben, und sie haben sie vor allem auch außerhalb ihres Berufs“, sagt Dahl, „erstaunlich für mich selbst ist jedoch, dass sie alle durch das A-Team irgendwie eine starke Veränderung durchmachen, meist zum Besseren.“

Paul Hjelm und Kerstin Holm heißen seine beiden ProtagonistInnen im ersten Roman – beide beginnen irgendwie eine Affäre, die schließlich wieder endet, „aber die erotische Spannung zwischen beiden bleibt erhalten“, sagt Dahl. Welcher von beiden Figuren ist jene, in der er sich am besten wiedererkennen möchte? „Ich schätze, Paul Hjelm entspricht meiner männlichen, zaudernden Seite, er ist ja sehr emotional; und Kerstin Holm ist mein weiblicher, mein analytischer Teil, auch sie ist voll Intuition, doch sie kann sie eher frei schweben lassen.“

Am Ende seiner als Dekalog angelegten Reihe wird er noch viele weitere Mitglieder des A-Teams profiliert haben: „Keiner kann immer die Hauptrolle haben, alle werden mal näher, mal ferner gezeichnet.“ Waren es politisch korrekte Gründe, im zweiten Band einen Ermittler mit lateinamerikanischem Hintergrund auf die Romanbühne zu schieben? „Nein, nein“, sagt er, „aber das schwedische Leben ist nun mal nicht mehr so wie früher. Schweden heißen heute auch Jorge, haben schwarze Haare und ein glühendes Temperament.“ Aber ein wenig klingt es doch nach Klischee … „Ja, die Gefahr besteht immer. Im sechsten Band werde ich einen schwulen Kommissar zum A-Team kommen lassen. Und der ist zwei Meter groß, ist in seinen Bewegungen eher tapsig, außerdem interessiert er sich nicht für Designerisches. Na, ist das noch ein Stereotyp?“ Vielen Dank für die klare Antwort, da weiß einer um das Bild des Schwulen in der Welt.

Apropos Dekalog. Wenn es wirklich bei den zehn Bänden bleibt, die zu schreiben er versprochen hat, wie sehr waren dann die Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö sein Vorbild? „Nun, beide sind für uns in Schweden schon sehr große Vorbilder. Die haben eben ein zehnbändiges Krimiwerk abgeschlossen – jede Geschichte ist einzeln lesbar, zusammen zeigen sie ein Schweden, das an seiner Kälte ersticken könnte.“ Und weshalb will er nun selbst deren Idee …? „Nun, ich hatte zwei Bände geschrieben. Dann habe ich selbst gesagt, dass es zehn werden, schon um mich unter Druck zu setzen. Heute würde ich sagen, es könnte gut sein, dass das A-Team noch viel öfter als nur zehnmal an Fällen arbeitet.“

Würde er sagen, dass er ein Melancholiker ist, ein Chronist der schwedischen Traurigkeit wie Mankell? „Um Gottes willen, ich bin so melancholisch, wie man es manchmal ist, aber das ist nicht meine Mentalität. Meine Welt ist, wie sie ist. Und meine Krimiwelt ist auch kein Grund, Depressionen zu bekommen.“ Dahls Geschichten gehen über die sozialdemokratische Traurigkeit des „Alles wird schlimmer“ hinweg: Es gibt ein Leben in der Globalisierung. Und Dahl fügt an: „Ich glaube nicht an Erlösung. Nicht an einen Marxismus wie Sjöwall und Wahlöö“, auch nicht an andere Hoffnungserzählungen, denn, findet Dahl nach einem kurzen Moment der Grübelei, „die Welt hört nicht auf, so wenig wie die Liebe“.

Manchmal hat man in seinen Romanen dennoch den Verdacht, sie schielten auf Beifall. Weshalb schildert er den Fall eines Pädosexuellen so, als sei es schon kriminell, pornografische Schriften zu besitzen? „Da war ich beim Schreiben mit mir selbst nicht einig – und das A-Team ist es sich dann auch nicht. Ich glaube, dass das Verbrechen da ist, wenn pornografische Videos gedreht werden, weil die Gefilmten ja Kinder sein müssen. Das ist unakzeptabel. Andererseits vergreift sich der eine Täter ja nicht an Kindern konkret – er braucht nur die Bilder.“ Dieser Punkt muss offen bleiben, „ich weiß auch nicht, wie die Welt für Pädosexuelle besser werden kann, so, dass alle es akzeptieren können“.

Mag Dahl Gewalt schildern? „Ich muss. So chirurgisch genau wie irgend möglich. Gewalt ist immer im Spiel, wie gut eine Gesellschaft auch sein kann.“ Und wie sehen es seine eher hochkulturell arbeitenden Kollegen, dass einer der ihren das Krimigenre bedient? „Nun, ich achte nicht so sehr auf sie, aber ich denke, dass man Kriminalromane ambitioniert schreiben kann – und so genannte höhere Literatur auch eher schlicht und vordergründig. Ich wollte eben ausprobieren, ob es geht – Krimis zu schreiben als Chronik eines Jetzt und Hier in Schweden und Europa.“ Was ist Europa für ihn? „Eine Selbstverständlichkeit. Meine Generation empfindet Rom oder Paris, die Algarve oder die Ägäis als näher als Afrika zum Beispiel. Früher hatte man über die Dritte Welt nachzudenken.“

Wie Henning Mankell eben in Mosambik auch lebt? „Ja, schon, aber Europa ist näher, Afrika bietet nicht viel von dem, wovon man träumt oder woran man leidet. Das mag illusionslos klingen, vielleicht ernüchtert, aber ich schätze, das ist die Wahrheit.“

Ist Arne Dahl selbst friedlicher geworden durch die Gewaltgeschichten, die er verfasst hat? „Möglich, dass ich mir durch mein Schreiben meinen eigenen Schrecken etwas kleiner gemacht habe. Furcht ist mir jetzt ferner.“

JAN FEDDERSEN, 47, ist taz.mag-Redakteur