piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Macht der Mütter

In ihrem Buch „Die fremde Braut“ prangert die Soziologin Necla Kelek nicht nur die Praxis der Zwangsehe an. Sondern auch das traditionell-islamische Frauenbild, das ihr zugrunde liegt

Im Südosten der Türkei sollen über die Hälfte aller Ehen ohne die Zustimmung der Frau geschlossen werden

VON RENÉE ZUCKER

Dieses Buch hat eine trostlose Aura. Tagelang konnte ich es nicht in die Hand nehmen, geradezu physisch unangenehm war mir der Umschlag. Und ist er immer noch. Eine schwarze Burka, aus der ein Stück weiße Hand ragt. Eine „Geschlossene“, so heißen die schwarz verhüllten Frauen in Necla Keleks Buch über die Importbräute.

Die typische Import-Gelin (Gelin = die, die kommt – so nennt man die Braut, die ins Haus des Mannes zieht) ist um die 18, stammt aus einem Dorf, kann notdürftig lesen und schreiben und wird an einen unbekannten, vielleicht verwandten Mann türkischer Herkunft verheiratet. Sie muss tun, was Mann und Schwiegermutter von ihr verlangen. Sie spricht kein Deutsch und kennt ihre Rechte nicht. Anfangs hat sie auch kein eigenes Aufenthaltsrecht.

Wenn sie etwas Missliebiges tut, wird sie zurück in die Türkei geschickt und das kann ihren sozialen oder realen Tod bedeuten. Wenn sie keine Kinder kriegt, kann sie auch zurückgeschickt werden. Wenn sie Kinder kriegt, erzieht sie sie genauso. „Die jungen Frauen werden mit dem Versprechen auf ein sorgenfreies Leben im Sozialstaat gelockt. Dabei interessiert sie das Land nicht und die Menschen noch weniger. Es ist, als ziehe man in der Türkei um. Nicht in ein anderes Land, sondern in eine fremde Familie.

Die Zahlen sind unzuverlässig. Die Horrorszenarios sind mittlerweile bekannt. Nach Angaben von amnesty international wurden in den östlichen und südöstlichen Provinzen der Türkei über die Hälfte aller Frauen ohne ihre Zustimmung verheiratet. Die UNO nannte das 2001 moderne Sklaverei. Kelek schreibt: „Bei meinen Gesprächen mit über 50 türkischen Frauen war keine, die sich ihren Partner selbst ausgesucht hat.“ In ihrem vorzüglich geschriebenen und deprimierenden Buch fordert sie zunächst zuverlässiges Material über das Ausmaß des Problems. Und: Die Deutschen müssten endlich hingucken, vor allem die Gutmenschen. Das sind wir. Die Berliner Anwältin Seyran Ates bittet schon etwas länger darum, nun sind es schon zwei mutige Frauen, deren Worte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.

Was Kelek beschreibt und was die betroffenen Frauen zum Teil erzählen, bestätigt das unangenehme Gefühl, das einem schon der Buchumschlag bereitete.

Es ist diese gleichzeitige Ausstrahlung von Unterdrückung und Aggression, die so hilflos macht. Denn die Verhüllung verbirgt ja nicht nur das Eigene, sie macht das Gegenüber nackt. Nackt und sündig. Sie ist ein Statement, keine Folklore. Diese Musliminnen „wollen mit den Deutschen, den Unreinen nichts zu tun haben. Sie verabscheuen das ehrlose Leben der Frauen im Westen, sie fühlen sich stark und den Unreinen moralisch und geistig überlegen.“ So beschreibt Kelek die neuen, freiwilligen Kopftuchträgerinnen, die immer häufiger auf den Straßen zu sehen sind.

So unangenehm der Umschlag, so wichtig jedoch das Buch. Es sollte zur Pflichtlektüre in den Schulen gehören. Denn es erklärt etwas Wesentliches über die unterschiedlichen Menschenbilder zwischen westlicher und islamischer Gesellschaft. Einerseits eine Gesellschaft, die das Individuum wahrnimmt und anerkennt, andererseits eine Gesellschaft, die auf Familie und Umma (Gemeinschaft) basiert. Man gehört sich nicht selbst, und die Frau gehört sich schon gar nicht. Die Ehe in der islamischen Gesellschaft habe eine völlig andere Bedeutung als in einer christlichen, sagt Kelek. Begriffe wie Ehre, Schande, Respekt und Sünde müssten in einem anderen kulturhistorischen Kontext verstanden werden.

Die Ehre der Familie liege in der Tochter. Und solange die Tochter in der Familie lebt, ist diese Ehre immer fragil und bedroht. Nach islamischer Auffassung seien es nämlich nicht die Männer, die ständig an das eine denken, sondern es liege in der Natur der Frauen, ständig zu wollen. Durch das sexuelle Verlangen der Frau bricht aber Fitna, das Chaos, aus und deshalb muss man die Töchter so früh wie möglich verheiraten. Männer müssen die Frauen vor sich selbst und anderen beschützen.

Zu diesem Schutz muss sie aus der Öffentlichkeit ausgegrenzt werden, weil sie ein rein sexuelles Wesen ist. „Je weniger ich mich draußen bewege und mich von äußeren Dingen ablenken lasse, desto näher bin ich Gott und dem Bösen fern“, sagt eine von Keleks Gesprächspartnerinnen, die ihr Leben als langweilig und die Religion als sinnvolle Freizeitbeschäftigung empfindet. Der Mensch ist ihrer Meinung nach da, um die Pflichten zu erfüllen, die Allah auferlegt hat. „Das ist so wie Schulden haben.“

Eine andere Frau erzählt ihrer kleinen Tochter, dass auf der Straße böse Männer mit einer Spritze rumlaufen, die kleine Kinder töten. Dann will die Tochter von sich aus zu Hause bleiben. Töchter sind weniger als nichts wert. Wenn sie dann jedoch Mütter werden, haben sie Macht über alles. Und spielen im schlechtesten Fall die mieseste Rolle in diesem Stück: als Komplizinnen ihrer verzogenen Söhne.

Die Verehrung der Mutter sei eine der wichtigsten Säulen islamischen Lebens. „Wie Gott, so soll man auch Mütter zeitlebens und ohne Unterlass lieben und fürchten“, zitiert Kelek die marokkanische Religionswissenschaftlerin Fatima Mernissi. Hier werde die Bindung zwischen Mutter und Sohn nie beendet, nicht einmal durch die Hochzeit – im Gegenteil. Die Trennung zwischen Liebe und Sexualität wird so institutionalisiert. Die geliebte Mutter besorgt dem Sohn eine Fremde, die ihn befriedigen und seine Kinder gebären soll. Damit bleibt sie heilig; das Niedere besorgt die Fremde. Mit Liebe habe das nichts zu tun. Die Liebe ist der Mutter und Gott vorbehalten.

Wer Kelek Rassismus vorwirft, kann ihr ebenso Frauenfeindlichkeit unterstellen. Es hilft nur leider nicht weiter. Vonnöten wäre es hingegen, wenn wir schleunigst dafür sorgten, dass diese Menschenrechtsverletzungen nicht weiter im Schutze der Ignoranz geschehen können – und im schlimmsten Fall im Ehrenmord enden.

Necla Kelek ist sehr mutig. Man muss sich um sie sorgen. Man muss sie unterstützen.

Necla Kelek: „Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 274 S., 18,90 €