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Archiv-Artikel

Go West mit Hammer und Sichel

AUS CHISINAU BARBARA OERTEL

Einige hundert junge Leute trotzen im Zentrum Chisinaus, der Hauptstadt der Republik Moldau, der Kälte und halten Bierflaschen oder auch Eistüten in den behandschuhten Händen. Manche von ihnen tragen rote Stirnbänder. „EU – votez!“ (EU – wählt!) steht darauf, wobei das „e“ durch Hammer und Sichel ersetzt ist. Rote Fahnen verkünden: „Moldau, das Herz ist links!“ Auf einer Bühne arbeitet sich eine Schönheit in hochhackigen Stiefeln und Minirock an internationalem und heimischem Liedgut ab. Gleichzeitig erscheinen auf riesigen Leinwänden die Lettern „EU“. Endspurt im Wahlkampf der moldauischen kommunistischen Partei (PCRM), bevor am Sonntag ein neues Parlament gewählt wird.

Etwas abseits steht ein älterer Mann, beobachtet das Treiben und hat Schwierigkeiten, Europa und die Erben Lenins zusammenzubringen. 2001 hätte daran noch niemand gedacht. Mit Blick nach Moskau hatten sich die Kommunisten mit ihrem Chef und heutigen Staatspräsidenten Wladimir Woronin dem Volk noch mit dem Versprechen empfohlen, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen sowie der russisch-weißrussischen Union beizutreten. Die Aussicht auf Moskauer Gaslieferungen unter Weltmarktpreis und ein besseres Leben taten ein Übriges. Mit knapp über 50 Prozent sicherten sich die Kommunisten 71 von 101 Sitze und damit eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Heute, vier Jahre später, ist kein Versprechen eingelöst. Doch die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis: Jüngsten Umfragen zufolge könnte die PCRM am Sonntag zwischen 51 und 60 Prozent erhalten. Einen Grund sehen Experten in der Wirtschaftsentwicklung. Immerhin weisen Statistiken für das Jahr 2002 ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 6 Prozent aus. Zudem durften sich Pensionäre, die diszipliniertesten Unterstützer der Kommunisten, über eine Erhöhung der Renten von umgerechnet 14 auf 21 Euro freuen.

„Die Entwicklung ist positiv“, sagt Anatol Gudim, Wirtschaftswissenschaftler am Zentrum für strategische Studien und Reformen, „allerdings nur oberflächlich betrachtet.“ Denn mittlerweile ist es klar, dass vor allem die Zahlungen moldauischer „Gastarbeiter“ die Wirtschaft vor dem Kollaps bewahrten. Schätzungsweise 600.000 arbeiten im Ausland, um ihre Familien zu unterstützen – im vergangenen Jahr mit rund einer Milliarde Dollar, was 30 Prozent des BIP entspricht. „Dadurch werden strukturelle Reformen verhindert“, sagt Gudim.

Mit derlei Kleinigkeiten halten sich die Kommunisten nicht lauf. Alexander Petkow, Leiter des Informationsanalytischen Zentrums der KP, mimt den Coolen. „Die Zeiten ändern sich eben“, antwortet der Mittdreißiger und stellt klar, dass „die Kommunisten in der Moldau nichts mehr mit Erich Honecker und Nicolae Ceaușescu gemein haben.“ Die Westintegration sei Konsens aller Parteien. Und eine orangene Revolution wie in der Ukraine werde es nicht geben.

Warum? „In Georgien und der Ukraine haben die Menschen gegen die Vertreter der alten Elite gekämpft. Bei uns hat dieser Wechsel schon vor vier Jahren stattgefunden“, sagt Petkow. Nicht ganz zufällig reiste Altrevolutionär Woronin jüngst zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko. Danach unterzeichnete er mit dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili in Chisinau eine Deklaration über den „Vorrang demokratischer Werte“ sowie über „schwarze Löcher“ in Europa.

Besonders das zweite Dokument dürfte in Moskau auf wenig Gegenliebe stoßen – geht es dabei doch auch um die von Chisinau abtrünnige und international nicht anerkannte Republik Transnistrien. Dieses „schwarze Loch“ wird vom Kreml offen gehalten und hat sich zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für illegalen Waffen- und Drogenhandel entwickelt. Diesen Sumpf möchte Woronin mit Hilfe seines Kollegen Juschtschenko trockenlegen, indem die Grenze zur Ukraine für transnistrische Waren dicht gemacht wird.

Diese Botschaft ist in Moskau angekommen. So berichtete die Zeitung Moldawskie Wedomosti von Sanktionen, die Moskau gegen Chisinau verhängen könnte, etwa die Ausweisung moldauischer Arbeitskräfte, die Drosselung des Weinimports sowie die Preiserhöhung für Gas nach Moldau. Chisinau reagierte prompt und verweigerte russischen Wahlbeobachtern eine Akkreditierung. Begründung: Man habe mit Vertretern der OSZE und des Europarates genug kompetente Kräfte im Land.

Und um die bemüht sich Woronin derzeit besonders. Aus gutem Grund: „Am Wahltag selbst werden die Kommunisten alles tun, dass es korrekt und sauber verläuft, um sich dem Westen zu empfehlen“, sagt der Politologe Igor Botan vom Bündnis für partizipatorische Demokratie „adept“. Ihr wahres Gesicht haben sie in den vorangegangenen Monaten gezeigt, sagt Botan. So sei die Präsenz der Kommunisten in den staatlichen, aber auch einigen privaten Medien erdrückend gewesen. Über oppositionelle Kandidaten wurde, wenn überhaupt, negativ berichtet. Auch deren Veranstaltungen behinderten Polizei und Sicherheitsdienste noch bis vor kurzem massiv.„Gegenüber dem Westen kultivieren die Kommunisten ein demokratisches Image, aber hier agieren sie nach den alten Methoden“, sagt Botan.

Das weiß keiner besser als Iurie Rosca, Chef der Christlich-Demokratischen Partei (PPCD). Vor zehn Tagen sendete das staatliche Fernsehen einen Film unter dem Titel „Stoppt den Extremismus“. Darin wird Rosca als Freund Ussama Bin Ladens und deutscher Neonazis gezeigt. „Ich bin zum Helden des moldauischen Horrorfilms avanciert“, grinst Rosca. Im Hauptquartier der Partei, die als einzige neben einer EU-Mitgliedschaft auch einen Nato-Beitritt propagiert, dominiert Orange – die Farbe der ukrainischen Revolution. Auf einem Plakat steht Rosca an der Seite Juschtschenkos. Die Partei wirbt mit Slogans wie „PPCD – Gott helfe uns.“

Gott wird wenig ausrichten. Der Partei werden 12 Prozent vorhergesagt. Derzeit spielt Rosca mit dem Gedanken, am Tag nach den Wahlen in Chisinau zu protestieren. „Wir wollen Woronin zeigen, dass auch wir zu so etwas in der Lage sind“, sagt er. Dort könnte er auf Vertreter des Bundes der moldauischen Demokraten (BMD) treffen, die sich bei 21 Prozent eingependelt haben. Das Bündnis unter dem Spitzenkandidaten und Chisinauer Bürgermeister Serafim Urecheanu wird von Moskau unterstützt und soll zahlreiche Kontakte zur Mafia haben.

Unweit des Konzertplatzes sitzt der Taxifahrer Romeo in seinem alten Audi und wartet auf Kunden. In der letzten Jahren hat er mehrmals in Deutschland gearbeitet – mal mehr, mal weniger legal. „Die Politiker sind doch alle gleich, jeder wirtschaftet in die eigene Tasche, keiner denkt ans Volk“, sagt er. Er will bald wieder nach Deutschland, um Geld zu verdienen. „Bei der erstbesten Möglichkeit bin ich weg.“