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Archiv-Artikel

Und wer bringt den Müll raus?

Es ist paradox: Je mehr Arbeit uns die zunehmende Technisierung abnimmt, desto stärker klammern wir uns an ihr fest. Dabei sollten moderne Maschinen uns doch das Leben erleichtern

1967 kamen bei der Volkswagen AG auf einen Arbeiter pro Jahr 15 verkaufte Fahrzeuge. Vierzig Jahre später beträgt der Absatz pro Arbeiter bereits 36 Autos. Der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft sinkt, die Produktivität steigt. Stellenabbau ist unvermeidbar: Autos werden von Robotern gebaut, Waren werden über das Internet bestellt und von Maschinen versandt. Die wenigen hoch qualifizierten Jobs, die dabei neu entstehen, können diese Entwicklung nicht auffangen. Doch der Bauer wird seinen Mähdrescher nicht verkaufen und die Sense aus dem Schuppen holen, nur um Arbeit zu schaffen. Und das soll er auch gar nicht.

Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) würden Arbeit, Leistung und Bezahlung in einem völlig neuen Verhältnis stehen. „Arbeitgeber müssten ihre Stellen nicht mehr nur ausschreiben, sondern bei den Arbeitnehmern um die Besetzung eines Postens werben“, prognostiziert der Autor und Referent Ralph Boes. Er ist Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen in Berlin. Mühsame oder unwürdige Arbeit müsste in einem solchen System durch gute Arbeitsverhältnisse und Bezahlung aufgefangen werden. Sonst würde sie von niemandem mehr gemacht werden.

Manfred Gerke (Name geändert) arbeitet für die Berliner Straßenreinigung, die BSR. Hektisch geht es zu, während er Mülltonnen aus den Hinterhöfen zum Müllauto bringt.

Arbeit würde attraktiver

Dass Maschinen einmal seine Arbeit übernehmen könnten, davon will er nichts wissen. „Da fällt ja dann mein Arbeitsplatz weg! Davon halt ich gar nichts“, sagt er besorgt. Selbst mit einem BGE von 1.000 Euro auf die Hand würde er am liebsten seinen Job weitermachen: „Soll ich dann nichts tun oder was?“ Auch sein Kollege ist skeptisch: „Wenn man den ganzen Tag für 1.000 Euro zu Hause hockt, was soll man denn da machen? Da langweilt man sich ja.“ Für die beiden „Müllmänner“ steht fest: Selbst mit einem BGE würden sie ihren Job behalten wollen.

Wenn die Arbeit an sich einen schlechten Ruf hat, wird heute schon viel für die Attraktivität des Arbeitsplatzes getan. So auch bei der BSR. „Ein guter Arbeitsschutz und die Gesundheit der Mitarbeiter sind uns sehr wichtig“, sagt eine Sprecherin. Durch gezielte Verbesserungen in diesen Bereichen konnten in den letzten Jahren die Arbeitsausfälle gesenkt werden. „Wir arbeiten auch am Ansehen unserer Mitarbeiter“, so die Sprecherin. „Das Klischee, dass hier ausländische Mitarbeiter die Drecksarbeit machen müssen, ist schlichtweg falsch“. Ein „Müllmann“ verdient bei der BSR 2.000 Euro brutto plus Zusatzleistungen. Für einen Alleinstehenden bleibt da genug übrig.

Was aber machen die Erwerbstätigen, die eine Familie zu ernähren haben? Mit einem BGE wären auch Partner und Kinder mit einem eigenen Einkommen abgesichert. Wenn die Arbeit tatsächlich weniger wird oder ganz wegfällt, könnten sich die Betroffenen ohne Druck etwas Neues suchen. Entspannung beim Job würde auch andere Potenziale schaffen. „Je weniger Arbeit der Mensch hat, desto mehr Freiheit hat er, sein Leben nach seinen individuellen Wünschen und Pflichten zu gestalten“, so Ralph Boes. Durch den technischen Fortschritt wird Zeit gewonnen, die Spielraum für kreative Gedanken, Betreuung der Kinder, Pflege der Alten oder persönliche Weiterbildung schafft. Dass auch die unangenehmere Arbeit weiterhin getan werden würde, wenn jeder sein Grundeinkommen sicher hätte, daran hat Boes keinen Zweifel.

80 Prozent wollen arbeiten

Durch bessere Arbeitsverhältnisse und gute Bezahlung entstehen neue Anreize und Möglichkeiten, auch für Menschen ohne Ausbildung. „Da diese Gruppe für eine hohe Konsumbereitschaft bekannt ist, spannt sich hier der Bogen zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens“, sagt Ralph Boes. Durch eine Konsumsteuer würden Mehrverdiener und Mehrausgeber zur Finanzierung des BGE beitragen.

Für Boes ist der Drang nach Produktivität und Beschäftigung fest im Menschen verankert. Auch unsere „Müllmänner“ würden sich trotz BGE weiterhin für ihren Job entscheiden. Doch die Mehrheit der Gesellschaft teilt diese Ansicht nicht. Aus einer Umfrage einer Schweizer Initiative für das BGE geht hervor: 80 Prozent der Befragten trauen ihren Mitmenschen nicht zu, dass sie noch arbeiten gehen würden. Nur 10 Prozent geben an, dass sie tatsächlich erst ausschlafen würden, um zu sehen, was der Tag bringt. Zuallererst müssen wir unserer Gesellschaft also ein bisschen mehr zutrauen.

ALEXANDER VIKTORIN