SUSANNE LANG über DIE ANDEREN
: Herr Henkel, wir müssen reden!

Hilfe, die Neokons kriegen uns. Dagegen hilft nur eins: Ran an den Feind

Es begann eigentlich harmlos: ein ganz gewöhnlicher Wochenmittenabend, auf meinem Fernseher flimmerte gerade Unterschichten-TV, das Stofftier glotze mit, während die politische Elite gerade dabei war, sich zu vereinigen, ein großer Pakt fürs politische Kurzzeitgedächtnis. Da sprach plötzlich Lena zu mir, aus dem U-Schicht-Fernsehen, sie wolle später auch mal Spießer werden. Ich zuckte kurz – denn ich fand ihre Haltung sehr plausibel. Wer wollte schon in einem schmuddeligen Wohnwagencamp leben – wo man doch sowieso in Berlin war. Ich schluckte. War ich infiziert? Heroismus der Anpassung. Mitten im Stahlgewitter des Kapitalismus. Die Neokons, haben sie mich?

Am nächsten Morgen nahm ich die U-Bahn, zwei Stationen, mitten hinein in das Berlin, wo sich Sushi-Take-away und deutsche Nobelbäckerei Konkurrenz machen. Ein goldener Klingelknopf, gleich neben den „Budapester Schuhen“. – „Leibniz-Gemeinschaft, hallo?“ – „Ich möchte Hans-Olaf-Henkel sprechen“, antwortete ich, höflich. Der Türöffner summte. „Herr Henkel, wir müssen reden“, sagte ich, etwas atemlos. „Guten Tag, Frau taz“, begrüßte mich der nette Herr im Nadelstreifenanzug ruhig, während er auf seinem schwarzen Ledersessel am Schreibtisch Platz nahm, vor ihm, auf ihn ausgerichtet: Universitätsakten, Telefon, Laptop und ein Blumenstrauß, zartlilafarben. „Wie geht es Ihnen?“

Tja. Es war sehr ernst. „Herr Henkel, bitte, warum arbeite ich Ihrer Meinung nach auf der falschen Seite?“ – „Ach ich kenne Sie ja nicht, aber warum nicht, wenn es Ihnen Spaß macht …“ Ich schluckte. „Wenn ich nun Ihre Tochter wäre, Sie fänden das auch?“ „Klar, irgendwann hat es meine Tochter auch eingesehen und die Flausen aus dem Kopf bekommen.“ Flausen? „Die taz richtet ja keinen Schaden an, lesen ja nur 60.000.“ Ich schluckte noch einmal.

Er lächelte, immer noch sehr nett. Der ehemalige Präsident des BDI, der Propagandist für „Die Kraft des Neubeginns. Deutschland ist machbar“, der Neoliberale im Dauerwiderstand. Geistiger Reformstifter. „Sie sind also zufrieden mit den Zuständen?“, fragte ich, etwas bang, „ich denke ernsthaft über einen Bausparvertrag nach.“ – „Na ja“, er lächelt immer noch, süffisant. „Gerade läuft alles falsch.“ Ich atmete auf.

„Wir sind eben noch nicht ganz unten“, erklärte der Globalisierungstheoretiker, „wenn Deutschland ganz unten ist, werden alle – auch Sie – einsehen, dass wir wettbewerbsfähig werden müssen. Dass wir in die Zukunft unserer Kinder investieren müssen, dass unser Bildungssystem reformiert werden muss – da stimmen Sie doch zu?“ „Na ja – Politikersprache“, murmle ich. „Nicht mein Fehler, dass Politiker jetzt wiederholen, was ich schon vor zehn Jahren gesagt habe. Außerdem: Das ist keine Antwort.“ Er lächelte nicht mehr. „Bildung, ja, aber doch nicht nur für die Eliten“, meine Antwort. – „Wir brauchen Freiheit statt Gleichheit“, sagte er, Zweiter-Bildungswegs-Aufsteiger und Ex-IBM-Chef. – Okay, noch ein Versuch: „Wie kann es sein, dass der Begriff ‚Unterschicht‘ wieder konsensfähig ist?“

Er beugte sich nach vorne. „Nur eine wettbewerbsfähige Gesellschaft hat eine Chance.“ „Auch keine Antwort, oder?“ Er atmete laut aus. „Diese ideologischen Untertöne, Wirtschaft und Gesellschaft sind kein Widerspruch, warum sehen Sie das nicht ein! Die Regierung Helmut Schmidt ist daran schuld, überhaupt die 68er, die alles Leistungsdenken verpönt haben mit ihrem sozialen Wohlfahrtsstaat.“ Mir war schwindelig. Hörte noch entfernt „Hängematte, nicht auf Kosten der Allgemeinheit, gefährliche Ideologien …“ Da tauchte vor meinen Augen Sabine Christiansen auf, engelsgolden, freundlich lächelnd. Plötzlich war mir klar: Ich sprach mit einer Talkshowfigur. Kein Diskurs möglich. Nur Realitätsschablonen, geschlossenes System. Der tut nichts, der will nur reden. Noch haben sie uns nicht. Muss nur wegzappen.

Ein letzter, allerletzter Versuch: „Wofür soll ich denn nun kämpfen als junger wettbewerbsorientierter Rebell, Herr Henkel? „Gegen den Strom müssen Sie schwimmen, gegen den Strom, immer gegen den Strom.“ Zapp. Und gut. Aber Lena war verschwunden.

Fragen zur Unterschicht? kolumne@taz.de MORGEN: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA

Susanne Lang berichtet an dieser Stelle einmal im Monat von dort, wo es wehtut