: „Ein eher mageres Ziel“
Trotz Hickhack beschloss der EU-Gipfel auch das künftige Klimaziel Europas: Bis 2020 sollen 15 bis 30 Prozent weniger Kohlendioxid emittiert werden
AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN
Nach langem Hin und Her haben sich die 25 EU-Staats- und Regierungschefs gestern doch noch zu einem Klimaschutzziel für die Zeit nach 2012 durchgerungen. So steht es zumindest in den Schlussfolgerungen des Gipfeltreffens, das am Nachmittag in Brüssel zu Ende ging. Dort heißt es, die EU sei der Auffassung, dass die Industrieländer ihre Kohlendioxidemission bis 2020 um 15 bis 30 Prozent reduzieren sollten – im Vergleich zum Basisjahr 1990.
Auch wenn der Klimaschutz in der Brüsseler Diskussion über den Stabilitätspakt und die Dienstleistungsrichtlinie völlig untergegangen ist, hat Europa nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs guten Willen bewiesen. Klimaschützer und Wissenschaftler allerdings beklagen eine verpasste Chance: Die EU-Umweltminister hatten nämlich ursprünglich weitreichendere Ziele vorgeschlagen: Bis Mitte des Jahrhunderts wollten sie die EU-Staaten bindend verpflichten, die Emissionen um 60 bis 80 Prozent zu senken. „Ein langfristigeres Ziel wäre ein wichtiges Signal gewesen“, so Claudia Kemfert, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für Energie und Klima zuständig.
Im Herbst wird sich die Weltgemeinschaft in Kanada zu einem neuen Klimagipfel treffen – dem ersten, auf dem das Kioto-Protokoll nicht mehr die zentrale Rolle spielen wird. Stattdessen soll das Post-Kioto-Zeitalter eingeläutet werden – mit neuen, ehrgeizigeren Reduktionszielen. Die EU-Umweltminister betrachteten das 2050-Ziel als Impuls für die neue Zielsuche. „Das jetzt festgeschrieben Ziel ist eher mager als engagiert“, so DIW-Expertin Kemfert.
„Zurzeit steht ja überall das wirtschaftliche Wachstum im Vordergrund. Da ist es beruhigend, dass die Regierungen den Klimaschutz immerhin nicht völlig vergessen“, urteilt dagegen Jan Kowalzig von der Umweltschutzorganisation „Friends of Earth“. Das war in den vergangenen Monaten nicht immer so klar. Anfang Februar hatte die Kommission ihren Bericht zum Klimaschutz vorgelegt und darin ausdrücklich keine konkreten Ziele festgelegt. Damals hieß es, man brauche die Beteiligung der USA, bevor weitere Schritte unternommen werden könnten. Erst dank der Umweltministerkonferenz kamen überhaupt neue Reduktionsziele zustande.
Allerdings haben einige Regierungen nun ihre Umweltminister zurückgepfiffen. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder soll sich in einem persönlichen Gespräch mit Kommissionspräsident Barroso gegen konkrete Ziele ausgesprochen haben, um die Wirtschaft nicht weiter zu schwächen. Fast stündlich hatte sich der Text der Schlussfolgerungen in den vergangenen zwei Tagen geändert. Erst waren die Klimaziele nicht enthalten, dann plötzlich beide. Das jetzt festgeschriebene eine Ziel gilt als diplomatischer Kompromiss.
Aber auch mit diesem neuen Ziel ist noch lange nicht gesichert, dass sich die EU-Staaten tatsächlich daran halten werden. Schon jetzt haben viele mit der Einhaltung der alten, im Kioto-Protokoll verankerten Reduktion Schwierigkeiten. Einzig Deutschland und die neuen Mitgliedsstaaten liegen bisher ganz gut im Rennen. Die EU-Behörde schätzt, dass es Deutschland bis 2010 schafft, die Emissionen um 20 Prozent zu reduzieren. Kioto schreibt 21 Prozent vor. Besonders kritisch ist die Situation dagegen in Österreich. Statt die Emissionen – wie von Kioto verlangt – um 13 Prozent zu senken, legen die Österreicher zurzeit um knapp 10 Prozent zu. Auch Belgien, Frankreich, Dänemark und Großbritannien werden die Ziele kaum erreichen können. Der Klimasünder Nummer eins in Europa aber ist Spanien: Dort stieg der Kohlendioxidausstoß um 39 Prozent.