: Ursachenannahmen knacken
Wer krank wird, sucht dafür Erklärungen. Die zu kennen, kann in der Psychiatrie Heilungschancen verbessern, erforschte der Bremer Hardy Gutknecht – und bekam dafür einen Forschungspreis
Herr Gutknecht, Sie haben für Ihre Dissertation* in den Human- und Gesundheitswissenschaften an der Uni Bremen erforscht, wie PatientInnen ihre Krankheit verarbeiten – und für die Ergebnisse den Forschungspreis 2004 der deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie bekommen. Weiß man denn über dieses Feld tatsächlich zu wenig?
Hardy Gutknecht, Leiter der Tagesklinik St.-Annen-Stift in Twistringen: Weltweit gibt es zu dem Thema einiges – in Bezug auf die Behandlung in der Tagesklinik, die ja immer mehr an Bedeutung gewinnt, gibt es aber bislang keine Forschung. Außerdem setzen sich in der Psychiatrie zurzeit eher biologische Betrachtungsweisen durch. Dabei gerät ins Hintertreffen, dass sich mit der Krankheit nicht nur Stoffwechselprodukte verändern, sondern dass der Mensch mit seiner Erkrankung auch umgehen muss. Das ist in der Forschung aus dem Blick geraten. Denn finanziert wird zurzeit eher die biologische Forschung. Meine Arbeit, für die ich Patienten interviewt habe, belegt dagegen wie wichtig es ist zu verstehen, wie sich während der Behandlung die Einstellung des Patienten zur Krankheit ändert. Bislang kennt man wohl grobe Typologien unterschiedlicher Verarbeitungsmuster – aber eigentlich ist die hoch individuelle Krankheitsverarbeitung ein unterschätztes Feld.
Wo haben Ihre Ergebnisse Sie selbst überrascht? Ich habe nicht das Rad neu erfunden, aber über systematische Forschung abgesichert, was der erfahrene Praktiker weiß. Verblüffend war dennoch, wie wenig sich im Verlauf einer tagesklinischen Behandlung ändert, was die Patienten für eine Krankheitsursache halten. Das heißt, wenn man da etwas verändern will, muss man sehr gezielt intervenieren. Patienten haben übrigens ein schlechteres Behandlungsergebnis, wenn sie sehr unsicher bezüglich der Verursachung sind. Das heißt, man muss mit den Patienten gezielt darüber sprechen. Überrascht war ich auch von den vielfältigen und dynamischen Bewältigungsstrategien der Patienten, die sich selbst kompetenter bei der Krankheitsverarbeitung einschätzen als die Behandler.
Wo ist das besonders erfolgreich?Es gibt Krankheitsbilder, da spielt die Biologie tatsächlich eine größere Rolle. Wenn die Patienten das als Verursachungsmodell oder als Teilursache nicht im Blick haben, dann geben sie sich möglicherweise übermäßig selbst oder übermäßig anderen die Schuld. Daraus entsteht Stress. Wenn der Kranke aber weiß, dass eine manisch-depressive Erkrankung oder eine Schizophrenie zum Gutteil auch biologisch unterfüttert ist, dann kann ihn das entlasten. Wer sich vorschnell für eine Seite, ein Erklärungsmuster, entscheidet, hat oft auch nur begrenzte Chancen sich zu verändern. Die Untersuchung hat übrigens auch gezeigt, dass Patienten in der Krankheitsverarbeitung bestimmte aufeinander abfolgende Schritte durchmachen. Im Vordergrund steht anfangs die Bewältigung der belastenden Gefühle und später erst ein problemorientiertes Verarbeiten der Erkrankung und Behandlung. Deshalb geht es zu Behandlungsbeginn meist um die emotionale Entlastung und im zweiten Behandlungsabschnitt kommt man erst zum praktischen Handeln, also dazu, sich mit der Krankheit auseinander zusetzen, Informationen zu suchen, Problemlösestrategien zu entwickeln und so weiter.
Haben Sie auch Erfreuliches entdeckt?
Besonders gefreut hat mich, dass viele Patienten die tagesklinische Betreuung emotional sehr positiv bewerten. Das habe ich so eindeutig nicht erwartet.
Jetzt wissen Sie das alles – was wäre der nächste Schritt?
Es wäre schön, wenn das Thema Krankheitsverarbeitung breiter diskutiert würde und es dazu auch für Patienten etwas zum Lesen gäbe – vor allem über Krankheitsverarbeitung in der Klinik: Was kann man in der Klinik erwarten, was gibt es für Unterstützungsmöglichkeiten. Da gibt es bisher viel Schwarz-weiß-Malerei und Vorurteile. Es wird quasi immer noch übers Kuckucksnest geflogen. Auch in die Lehrbücher sollte das Thema Krankheitsverarbeitung Eingang finden. Wissenschaftlich wären Interventionsstudien spannend: Zu versuchen, Ursachenannahmen zu verändern und zu prüfen, ob das Behandlungsergebnis sich dadurch verbessert. Das wäre besonders dort wichtig, wo es unklare Annahmen beim Patienten gibt. Ich würde also versuchen, möglichst vielen Patienten zu einem klaren Krankheitskonzept zu verhelfen und zu schauen, ob das Ergebnis besser wird.
Fragen: Eva Rhode
*Wie Psychiatriepatienten ihre Krankheit verarbeiten, Psychiatrie-Verlag Bonn 2004