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Archiv-Artikel

Alle Welt spielt Streichquartett

Bei ihrer neunten Ausgabe geben sich die Osnabrücker Kammermusiktage forciert jugendlich. Dem streichenden Nachwuchs soll die Chance gegeben werden, gemeinsam auf einer Bühne mit den renommierten Meistern der Zunft zu stehen. Und die kommen gern in die niedersächsische Provinz. Nicht zuletzt, weil hier stets das gute Essen lockt

Eine Woche vor dem großen Auftritt wird noch fleißig geprobt. Der Klarinettist Martin Spangenberg, Professor an der Franz Liszt-Hochschule in Weimar, trifft sich morgens um neun Uhr mit vier Berliner Studenten, um Paul Hindemiths selten gespieltes Klavierquintett op.30 einzustudieren. „Das ist ein extrem schwieriges Stück aus Hindemiths wildester Phase. Wenn man das nicht richtig verstanden hat, klingt es nach gar nichts“, erklärt er drei Stunden später im Festivalbüro, das sich zur Mittagszeit mit Geigen- und Cellokästen, hungrigen Musikern, neugierigen Journalisten und allerlei Sonderwünschen füllt.

Im neunten Jahr ihres Bestehens haben sich die Osnabrücker Kammermusiktage einer Frischzellenkur unterzogen. Mit Hubert Buchberger wurde ein neuer künstlerischer Leiter gefunden, in der Stadt hängen farbenfrohe Plakate, die zu „classic con brio“ einladen. Viele Proben sind öffentlich. Im Mittelpunkt stehen fünf Streichquartette, die alle Voraussetzungen zu einer großen Karriere mitbringen und in Osnabrück die Chance haben, mit renommierten Musikern wie dem Pianisten Alfredo Perl oder der Violinistin Priya Mitchell aufzutreten.

Dieses Konzept hat auch Martin Spangenberg nach Osnabrück gelockt. „Das gibt es wirklich nirgendwo, dabei haben wir gerade im Bereich der Streichquartette ein sehr hohes Niveau in Deutschland. Es ist ganz wichtig, dass hervorragende junge Musiker in solchen Konzertreihen öffentlich auftreten können, und umgekehrt macht es auch die Kammermusik attraktiver“, meint der 40-Jährige, der selbst mit Stardirigenten wie Sergiu Celibidache und James Levine musiziert hat.

In der niedersächsischen Provinz gefällt ihm die gute Organisation, vor allem aber die konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Außerdem sorgten die Osnabrücker stets für gutes Essen: „und darauf legen Musiker wirklich extrem viel Wert“, gesteht der Ausnahmeklarinettist.

Für die Mitglieder des Abraxas-Quartetts, das vor drei Jahren in Berlin gegründet wurde, geht es vor allem darum, erste Festivalerfahrungen zu sammeln und das Zusammenspiel mit bereits bekannten Kollegen zu erproben. Doch die vier Streicher, die ihr Studium demnächst abschließen und dann möglichst zusammen Karriere machen wollen, sind nicht nur zum Lernen nach Osnabrück gekommen. „Am Anfang waren wir nicht ganz sicher, ob man uns als Studenten oder als Künstler eingeladen hat. Aber wir werden von den Kollegen wirklich voll akzeptiert und können ganz entspannt mit ihnen zusammenarbeiten“, sagt Daniela Braun, die bei Abraxas die erste Geige spielt.

Ähnlich positiv beschreiben die Musiker das Verhältnis zu den anderen vier Quartetten, und das nicht nur, weil sie mit ihnen zusammen im Festivalorchester auftreten. „Wir müssen uns natürlich mit einer starken Konkurrenz auseinander setzen“, gibt Cellist Andreas Voß zu. „Aber in diesen Tagen spielt das keine Rolle, da konzentriert sich jeder auf seine Aufgaben. Wir lauschen wirklich nicht an den Türen, um herauszufinden, was die anderen so machen!“

Auf dem umkämpften Markt kommt es ohnehin mehr darauf an, das eigene Profil zu schärfen. Dabei hat das Abraxas-Quartett einiges vorzuweisen. Gern tritt es an Orten auf, an denen man ein Streichquartett nicht unbedingt vermuten würde. Zum Beispiel in einer Berliner Diskothek. Voss erinnert sich: „Es war gar nichts Besonderes dabei. Nur dass sich die Leute zwischendurch mal ein neues Bier geholt haben.“

Auf diesen Gedanken dürften die wenigsten Besucher kommen, die Martin Spangenberg und das Abraxas-Quartett schließlich am Konzertabend erleben und einem Hindemith lauschen, der keineswegs „nach nichts“, sondern eher so klingt, als würde ein Orkan in der Osnabrücker Schlossaula gastieren. Tosender Beifall am Ende.

Ob sich die fünf jemals wieder zusammenfinden, bleibt dahingestellt: Spangenbergs Terminkalender ist gut gefüllt, die Abraxas-Streicher versuchen Ähnliches zu erreichen. Überzeugt davon, dass die Kammermusik auch im 21. Jahrhundert noch eine große Zukunft hat. „Allerdings kennen wir ja hauptsächlich Leute“, meint Andreas Voß, „die sich mit ähnlichen Dingen beschäftigen. Wir glauben natürlich: Alle Welt spielt Streichquartett.“ Thorsten Stegemann

Die Osnabrücker Kammermusiktage dauern noch bis zum 10. April. Infos: www.osnabruecker-kammermusiktage.de