: Wo sie hinfällt, die Liebe
Camilla Parker-Bowles ist die meistverspottete Frau unserer Zeit. Prince Charles, der sie heute heiraten wird, ficht das nicht an. Für ihn ist sie die attraktivste Frau der Welt. Wir sollten ihm glauben
von JAN FEDDERSEN
Neulich, in einem Omnibus in Berlin. Drei Jungmänner sehen aus dem Fenster ein Mädchen und kommentieren ihre Vorzüge wie ihre Nachteile. Zwei verrissen sie nach kurzer Begutachtung. Ihr Busen … zu flach. Ihre Klamotten … doof. Ihr Gesicht … drei Pickel zu viel. Das Mädchen war keine Jennifer Lopez oder Heidi Klum. Jedenfalls lachten die beiden vom Erotik-TÜV ihr unsicheres Jungenlachen – und harrten nun dem Urteil des dritten Kumpels.
Der hatte sich bei der Materialprüfung in Liebesdingen wortlos gehalten. Und sagte nun, mutig, vorsichtig, hartnäckig: „Na ja, ich weiß nicht. Also, ich finde … ihre Augen … und die Hände … und wie sie eben gelächelt hat …“ In die könne er sich verlieben. Die beiden anderen waren verblüfft, sehr. Und vielleicht deshalb, weil Letzterer etwas verstand, was den ersten beiden noch eine verborgene Welt ist – die der Liebe, der Attraktion, die sich unterhalb der Oberflächen erst entzündet. Der Dritte im Bunde nämlich schien schon zu wissen, was sich über Körpermaße nicht erschließt: die Chemie aus Gerüchen, Gesten und Galanterien.
Womit die Rede auf den Prince of Wales zu kommen hat, mehr noch: auf Camilla Parker-Bowles. Was diese Frau in den vergangenen Jahren, wiedergekäut in den vergangenen Wochen, an Unflat über sich hat aushalten müssen, sprengt tatsächlich alle Vorstellungskraft darüber, welche Macht ein klassischer Sexismus noch hat. Bekannt ist jedenfalls, dass Prince Charles auf sie abfährt. Dass sie für ihn der schärfste Finger unter der Sonne ist. Dass er sie wie eh und je begehrt – und dass er die Quasi-Zwangsheirat mit Diana Spencer schon kurz nach der so genannten Traumhochzeit bereute. Bekannt ist ebenso, dass Camilla Parker-Bowles ihn begehrt, mehr noch: sich für ihn interessiert, für seinen Job, für seinen Alltag. Das ist der Unterschied zur späteren Lady Di: Die war am Glamour des Jobs interessiert, nicht an dem, der ihn verrichtet.
Keine zweite Frau auf der Welt ist so leidenschaftlich, hartnäckig und ungestraft verspottet worden wie Camilla Parker-Bowles. Sie habe einen schaukelnden Gang, lache laut, trinke Whiskey, sitze im Sattel wie ein Kerl und presche denen auch noch davon. Die Kenner von der Deutschen Presse-Agentur bezeichneten sie als „altbacken“, andere Blätter priesen die angebliche Schönheit der Lady Diana, erkannten in Camilla Parker-Bowles aber nur eine „Bullterrierin“.
Was Unbehagen bereitet, ist, dass die Gedemütigte kein schneewittchenhaftes Tussilein ist, mehr eine selbstbewusste Draufgängerin sondergleichen, die, so geht die Legende, ihren Charles auch noch auf einer Cocktailparty angegraben haben soll. Und zwar mit den Worten: „Meine Urgroßmutter war die Geliebte ihres Ur-Urgroßvaters. Also: Wie wär’s mit uns beiden?“ Dass Prince Charles bei dieser Attacke nicht sofort von Kastrationsängsten gepeinigt schien, sondern, im Gegenteil, sexuell stimuliert wurde, provozierte krass: Camilla – die Domina!
Infam anmutende Zeugnisse für eine öffentliche Wahrnehmung, die nur in verweht wirkenden Gerneköniginnen wie Lady Di das Frauliche dechiffrieren will, in Weibern wie Camilla nur das Einschüchternde.
Tatsächlich repräsentiert die Geschmähte ein Frauenbild, wie es moderner nicht sein könnte. Und Prince Charles muss das schon ewig geliebt, bedurft und begehrt haben. Selbst als er schon mit Diana Spencer verheiratet war, suchte er seine Camilla zu Hause auf. Und wenn die nicht da war, um die Häuser zog oder sich sonstwie den Wind um die Nase wehen ließ, tranken Charles und der damalige Gatte Camillas in deren Küche Whiskey. Das nennt man die zivilisiert moderierte Einsicht aller Beteiligten in die wahren Liebesdinge – taktvoll und dem schon damals vorhersehbaren Lauf der Dinge angemessen.
Heute sagen sich im Standesamt von Windsor zwei Menschen das Jawort, die wirklich viel aushalten mussten, ehe sie coram publico den Bund fürs Leben besiegeln durften. Ein Triumph der „Liebe als Passion“ (Niklas Luhmann), der bürgerlichen Liebe, die im Bette der Monarchie besonders überzeugend wirkt. Lady Di? Sie hatte ihre Party. Nun feiert die andere, nun steht sie in der Mitte, und zwar verdientermaßen!
Camilla ist die schönste Frau der Welt, signalisiert Charles. Das Publikum hat keinen Grund, an diesem Urteil zu zweifeln: Denn es geht beiden nur um sich selbst, um Seelennähe auch im Körperlichen – der Rest der Erotik-Prüfungsbrut hat auf deren Matratzen nichts verloren.