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Archiv-Artikel

Märchenstunde

Nach dem 1:2 gegen den Hamburger SV flüchtet sich Schalke-Manager Rudi Assauer in Wunderglauben

GELSENKIRCHEN taz ■ Als alles schon vorbei ist, sitzt Rudi Assauer auf dem Podium im Schalker Pressezentrum und hat sich eine frische Zigarre angesteckt. Der Manager schaut verkniffen, als blicke er in eine imaginäre Pokerrunde, während vor ihm ein Reporter-Team des Deutschen Sportfernsehens (DSF) auf ein Interview wartet. Patengleich ruckt Assauer kurz mit Kopf, lässt das Ende seiner Zigarre aufglühen und sagt in fast herausforderndem Tonfall zum Fragensteller: „Fang an!“

Am Samstagnachmittag war es sein Team, die Mannschaft vom FC Schalke 04, die sehr aggressiv begonnen hatte und den Hamburger SV schon früh in dessen Hälfte attackierte. Bereits nach 3 Minuten führte ein Zusammenspiel zwischen Ebbe Sand und Gerald Asamoah zu einem Treffer durch den deutschen Nationalspieler und somit zum frühen 1:0.

Alles schien für den S 04 in seiner ausverkauften Arena, die noch für ein paar Wochen „AufSchalke“ heißt, bevor sie ihren neuen bierseligen Namen bekommt, auf einem guten Weg.

HSV-Trainer Thomas Doll lag deshalb mit seiner Analyse, dass seine Mannschaft „die ersten 20 Minuten verschlafen“ habe, völlig richtig. Danach stellten die Schalker ihr zunächst so intensives Spiel teilweise ein. Die vorher zu beobachtende Hilflosigkeit angesichts des Schalker Grätsch-Faktors verschwand auf Seiten der Hamburger und sie kamen über den sehr agilen Emile Mpenza und den mit Übersicht agierenden Stefan Beinlich besser ins Spiel. Dies war auch Schalkes Trainer Ralf Rangnick aufgefallen, der sich vor allem über „unnötige Ballverluste“ ärgerte. Zwar wollte er seiner Mannschaft bezüglich der Einstellung keinen Vorwurf machen, rügte aber trotzdem, dass sein Team „zu wenig Druck auf das gegnerische Tor“ entwickelt hätte. So konnten sich die Gäste aus Norddeutschland in der zweiten Halbzeit weiter steigern und Raphael Wicky erzielte nach einer Flanke von Beinlich per Kopf den verdienten Ausgleichstreffer (61.).

Vor allem der Ex-Schalker Mpenza wollte seinem alten Arbeitgeber zeigen, dass er „noch nicht tot“ ist, was ihm vortrefflich gelang. Die weiß-blaue Defensive wurde jedes Mal nervös, sobald der antrittsschnelle Belgier in Ballbesitz kam. Bei seinem Pendant auf der Gegenseite, dem Brasilianer Ailton, hatte man indes das Gefühl, die zahlreichen Defibrillatoren in der Arena könnten seinetwegen aufgehängt worden sein. Der sonstige Torjäger hatte seine beiden auffälligsten Szenen im Seitenaus, als er dort zwei Mal aus Frust den Ball wegschoss. Und so waren die Bemühungen des Tabellenzweiten insgesamt „einfach zu wenig für ein Heimspiel“, wie es Ralf Rangnick später treffend zusammenfasste.

Damit leitete der Gelsenkirchener Fußballclub nicht nur die etwas unglückliche Niederlage ein, sondern verabschiedete sich mit dem auf 6 Punkte angewachsenen Rückstand faktisch von der kaum begonnenen Bayern-Jagd. Der 29. Spieltag war für den FC Schalke 04, „wenn man realistisch bleibt“, (Ebbe Sand), das Ende der Meisterschaftshoffnungen für diese Saison. Besiegelt wurde die vermeintliche Vorentscheidung im Titelrennen in der 87. Minute, als ausgerechnet Emile Mpenza nach einem Zuspiel von Almami Moreira ein Eigentor von Verteidiger Mladen Krstajic und damit das 1:2 aus Hausherren-Sicht erzwang. Thomas Doll verbuchte dies für seinen Angreifer Mpenza unter der Rubrik „Fußballmärchen“, für die Schalker war es eher ein Albtraum, zumal auch der zweite Tabellenplatz zunehmend in Gefahr gerät.

Kein Wunder, dass Rudi Assauer unter diesen Umständen heute keinen Spaß an seinem Job hat. Er sitzt auf dem Podiumsstuhl und muss Worte wie „enttäuscht“, „viele Ausfälle“, „nicht die Klasse“ sagen. Ganz am Ende gibt der Manager aber doch noch einen bemerkenswerten Satz voller Hoffnung von sich: „2001 gab es ein Fußballwunder für die Bayern, also – warum soll es nicht 2005 ein Wunder für die Schalker geben?“ Angesichts der Leistung seiner Mannschaft muss man fast ein bisschen um den Manager bangen. Hoffentlich bekommt Rudi Assauer nicht das Daum-Syndrom.

MANUEL KRONS