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Archiv-Artikel

Einen Fingerbreit neben dem Traum

GESELLSCHAFT EN MINIATURE Agnès Jaouis’ leichtfüßige Sittenkomödie „Erzähl mir was vom Regen“

Agnès Jaoui

■ Geboren am 19. Oktober 1964 im Pariser Vorort Antony in einer jüdisch-tunesischen Familie. Sie begann ihre Karriere als Schauspielerin am Théâtre Nanterre. Als Regisseure das „fortgeschrittene Alter“ der 25-Jährigen kritisierten, fing sie an, sich selbst Rollen auf den Leib zu schreiben – mit großem Erfolg: Zusammen mit ihrem algerischen Ehemann Jean-Pierre Bacri hat Jaoui seit 1993 zahlreiche, preisgekrönte Theaterstücke und Drehbücher verfasst.

■ Regie hat sie bei drei Filmen geführt: „Le goût des autres“ („Lust auf anderes“, 2000), „Comme une image“ („Schau mich an!“, 2004) und zuletzt bei „Parlez-moi de la pluie“ („Erzähl mir was vom Regen“, 2008).

VON ANKE LEWEKE

Muss Kino tatsächlich bigger than life sein? Nein, manchmal erfreut man sich einfach daran, auf der Leinwand Seelenverwandten und Leidensgenossen in Augenhöhe zu begegnen. In „Erzähl mir was vom Regen“, dem neuen Film der Französin Agnès Jaoui, verbringen die Heldinnen und Helden einen ebenso verwässerten Sommer wie wir und schlagen sich auch ansonsten mit Problemen und Alltagsnöten herum, die man mehr oder weniger aus erster Hand kennt.

Der geschiedene Dokumentarfilmer Michel Ronsard (Jean-Pierre Bacri) gibt sich höchst beschäftigt, obwohl er gerade keinen Job hat und unter seiner Erfolglosigkeit leidet. Florence (Pascale Arbillot) ist vom eintönigen Hausfrauendasein auf dem Lande genervt, sucht die Schuld bei allen anderen, leistet sich aber immerhin eine Affäre. Karim (Jamel Debbouze) hat sich wegen seiner algerischen Herkunft schon immer benachteiligt gefühlt, und Antoine (Frédéric Pierrot) sieht in den Karriereambitionen seiner Freundin eine Bedrohung.

Wie schon in „Lust auf anderes“ und in „Schau mich an“ variiert die Schauspielerin, Drehbuchautorin (stets gemeinsam mit Jean-Pierre Bacri) und Regisseurin Agnès Jaoui ihr Lieblingsmotiv, erzählt von einer Handvoll Menschen, die sich einen entscheidenden Fingerbreit neben den eigenen Träumen eingerichtet haben. Die einzige Figur, die hier tatsächlich fast nur unter dem schlechten Wetter leidet, spielt sie selbst: Agathe Villanova, eine feministische Schriftstellerin, die politische Karriere machen möchte. In den Ferien reist sie in die südfranzösische Provinz, an den Ort ihrer Kindheit, wo ihre Schwester Florence mit Familie lebt. Weil sie gleichzeitig einwilligt, Wahlkampfauftritte und Interviews für einen Porträtfilm zu absolvieren, wird sie von allem eingeholt, was einen Urlaub unerträglich machen kann: Familienkonflikten, Beziehungskonflikten und den Kulturkonflikten der französischen Gesellschaft.

Michel, der verkrachte Journalist, und Karim, der Amateurfilmer, sind ein Himmelfahrtskommando in Sachen TV-Dokumentation. Bei den Dreharbeiten geht alles schief, was schiefgehen kann. Es gibt keine Ersatzbatterien, die Inszenierung ist unbeholfen, die Kamera bleibt versehentlich ausgeschaltet.

Immer wieder aufs Neue und zunehmend gereizt muss Agathe Rede und Antwort stehen. Wie ein Running Gag ziehen sich die Pannen durch den Film, und sobald die Kamera aufgebaut wird, freut man sich bereits auf die nächste Katastrophe. Es sind kleine Slapstickszenen, wunderbar alberne Erholungspausen von den eigentlichen Kriegsschauplätzen.

Und sobald die Kamera aufgebaut wird, freut man sich bereits auf die nächste Katastrophe

Auch mit „Erzähl mir was vom Regen“ stellt sich Agnés Jaoui in die Tradition der französischen Sittenkomödie. Mit Marivaux’scher Leichtigkeit bringt sie Dialoge auf die Leinwand, mit denen ihre Helden, ohne es überhaupt zu wissen, einander demütigen. Dabei arbeitet sie vor allem mit sprachlichen Nuancen und Betonungen. Der leicht besserwisserischer Tonfall der erfolgreichen Agathe löst bei ihrer Schwester Florence Minderwertigkeitsgefühle aus. Sobald Florence’ Mann die algerische Hausangestellte anspricht, bekommt sein Ton etwas Herrisches.

Karim wiederum rächt sich an Villanova mit aggressiven Interviewfragen für seine gefühlte oder tatsächliche Diskriminierung. Tatsächlich ist der Algerienfranzose im Haushalt der Villanovas aufgewachsen. Seine Mutter, die Haushälterin Mimouna (Mimouna Hadji), behandelte Agathe und Florence stets wie eigene Töchter und fühlte sich nie zurückgesetzt oder benachteiligt. Ihr Sohn hingegen spürt die Distanz, die es stets zwischen ihm und den beiden Frauen gab.

All die Konflikte, Spannungen und Komplexe, die wirklichen oder eingebildeten Zurücksetzungen verknüpft Jaoui zu einem Miniaturbild der französischen Gesellschaft. Zugleich verliert der Stoff seine Schwere durch die Leichtigkeit der Inszenierung, durch Jaouis zärtlich-ironischen Blick auf ihre Heldinnen und Helden und durch eine Kamera, die ihnen in langen Sequenzen alle Aufmerksamkeit schenkt. Immer wieder ist es der Regen, der die Verletzungen und Empfindsamkeiten nach außen spült. Sintflutartig kommt er vom Himmel und reinigt wenigstens für einige Zeit die Luft.

■ „Erzähl mir was vom Regen“. Regie: Agnès Jaoui. Mit Jean-Pierre Bacri u. a. F 2008, 98 Min.