: Gnadenlos grausam
Das 0:3 beim Hamburger SV ist ein schwerer Rückschlag für Hansa Rostock, dennoch gibt Trainer Berger nicht auf
HAMBURG taz ■ Jörg Berger wusste, was kommen würde. Der 60-Jährige, der sich wie kaum ein anderer in den Niederungen der Fußballbundesliga auskennt, antwortete daher, ohne die Frage abzuwarten. „Fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach Chancen und Prozenten oder sonst irgendwas“, sagte der Trainer von Hansa Rostock, „danach bin ich schon viel zu oft gefragt worden.“ Doch nach diesem Spieltag waren solche Fragen ohnehin fast überflüssig geworden. Rostocks Chancen auf den Klassenerhalt tendieren langsam gegen null.
Nach dem 13. Spieltag war Jörg Berger angetreten, den Ostclub vor dem Abstieg zu bewahren. Die Hansa-Kogge war 0:6 gegen den HSV untergegangen, und Trainer Juri Schlünz sah nach der desolaten Leistung keinen anderen Ausweg, als zurückzutreten. Der Tabellenletzte schien als erster Absteiger der Saison festzustehen, so schwach hatte sich die Mannschaft bislang präsentiert; im heimischen Ostseestadion wurde nicht ein einziger Punkt gewonnen. Ein Fall für Berger, den Klassenerhalter vom Dienst, der daraufhin Woche für Woche die Chancen auf den Verbleib in Liga eins beziffern musste.
Fünf Monate später liest sich seine Bilanz nicht allzu beeindruckend. 16 Punkte aus 16 Spielen hatte seine Mannschaft errungen und war mit dieser Ausbeute immerhin auf den vorletzten Tabellenplatz geklettert. Nun hieß der Gegner wieder HSV, und es war nicht allein die milde Aprilsonne, die Jörg Berger zunächst zuversichtlich stimmte, als er auf seiner Trainerbank Platz genommen hatte. Es war die Leistung seiner Mannschaft.
Dicht gestaffelt empfing sie den ratlosen HSV bereits an der Mittellinie. Die Abwehr um Uwe Möhrle und Joakim Persson hatte den Hamburger Sturm im Griff, und wenn doch einmal Gefahr drohte, wusste sie Torhüter Mathias Schober in ihrem Rücken. „Die erste Hälfte war für unsere Verhältnisse sehr gut“, sagte Berger, der jedoch alte Fehler entdeckte: „Es fehlte die Konsequenz im Spiel nach vorne, wie so oft in diesem Jahr.“
Konsequent präsentierte sich dagegen der HSV nach dem Seitenwechsel. In der 49. Minute, Jörg Berger hatte es sich auf seiner sonnigen Bank gerade gemütlich gemacht, schraubte sich Emile Mpenza zum Kopfball hoch und wuchtete den Ball zum 1:0 ins Netz. „Er kann mit Anlauf abspringen, ich nur aus dem Stand. Ich sehe nicht, dass er kommt – da hat er natürlich einen Vorteil“, versuchte Michael Hartmann das verlorene Kopfballduell zu entschuldigen. Diese schnelle Führung sei der Knackpunkt gewesen, meinte Jörg Berger, „wir müssen lernen nach so einem Rückstand Ruhe zu bewahren, doch bei uns will dann jeder immer alles.“
So musste er in den nächsten Minuten mit ansehen, wie seine Mannschaft „völlig neben die Spur geriet“ (Schober). Zunächst vergab Jari Litmanen die größte Chance zum Ausgleich, weil er es frei vor HSV-Keeper Stefan Wächter vorzog, noch einmal quer zu spielen auf Marcus Allbäck, der dann aus spitzem Winkel scheiterte. Wenig später erhöhte der HSV in Person von Collin Benjamin (61.) und Naohiro Takahara (64.) auf 3:0. „Gnadenlos und grausam wurden wir in dieser Phase für unsere Fehler bestraft“, sagte Berger, „deswegen steht der HSV zu Recht oben in der Tabelle und wir unten.“
Mittlerweile war die Sonne weitergewandert, so dass das Treiben der Rostocker symbolischerweise nur noch im Schatten stattfand. Einzig die Trainerbänke bekamen noch Sonnenstrahlen ab. Jörg Berger wirkte sehr nachdenklich in den letzten 20 Minuten des Spiels, wie er an der Bank lehnte, das Knie aufgestellt, darauf den Ellbogen gestützt, der Kopf schwer auf der linken Hand ruhend. Dann verschwand auch er als letzte Bastion der Hoffnung im Schatten.
„Ich war in ähnlichen Situationen, habe nicht aufgegeben und bin am Ende dafür belohnt worden“, sagt Jörg Berger. Dennoch weiß er um die scheinbare Aussichtslosigkeit seiner aktuellen Mission. „Es sieht so aus“, sagte er und klang dabei nicht einmal entmutigt, „als wäre die Titanic leichter zu retten gewesen als die Kogge.“ HENDRIK TERNIEDEN