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Archiv-Artikel

Rote Linie

Medien kritisieren gerne. Das ist gut, das ist ihre Aufgabe. Selbstverständlichkeiten sind keine Nachrichten. Dort, wo Nachrichten fehlen, helfen Journalisten auch schon mal nach. Solange das Vorgehen nur die Grenzen der guten Sitten streift, mag es ja noch zum Geschäft gehören. Aber immer öfter wird die rote Linie überschritten. Ein Debattenbeitrag

von Anton Hunger

Die Wirtschaftswoche gibt sich gerne seriös. Sie streitet für ein gerechtes Steuersystem, kämpft gegen Bürokratenwillkür und rät Versicherten, was sie „für einen fairen und bezahlbaren Krankenschutz tun können“. Und natürlich ist ihr auch das Thema Christian Wulff die eine und andere Rubrik wert. Das passt ja gerade in die Landschaft des allgemeinen Bundespräsidenten-Bashing. Die Wulff-Affäre lockt Leser bei Spiegel, Bild und FAZ, und auf dieser Welle muss mitgesurft werden. Koste es, was es wolle – und sei es die eigene Glaubwürdigkeit.

„Hat Bundespräsident Christian Wulff als VW-Aufsichtsrat und Ministerpräsident die Börsenaufsicht falsch informiert und Straftaten gedeckt?“, fragt das Blatt in seiner Ausgabe vom 30. Januar 2012 und schiebt gleich hinterher, dass Anlegeranwälte von Wulff Schadensersatz in Höhe von 1,8 Milliarden Euro forderten. Es geht um die VW-Übernahme durch Porsche, bei der Wulff als Vertreter des Anteilseigners und Sperrminoritätshalters Niedersachsen an Volkswagen naturgemäß eine Rolle spielte.

Grundlage für die veröffentlichte Fragestellung der WiWo ist ein mitgeschnittenes Gespräch, das Journalisten des Holtzbrinck-Blattes am 15. Juli 2009 mit Wulff führten. Das Problem war nur: Wulff wusste offensichtlich nichts davon, dass seine Äußerungen aufgezeichnet wurden. Eine Freigabe dieser Äußerungen lehnte seine Rechtsanwaltskanzlei ab: „Jedweder Verwendung der von Ihnen zitierten Äußerungen wird widersprochen“, schrieben sie der WiWo, die dies auch so zitiert.

Die Spielregeln werden auf beiden Seiten verletzt

Nach den allgemein anerkannten und akzeptierten journalistischen Spielregeln darf in einem solchen Fall nicht aus dem Gespräch zitiert werden. Die Aussagen sind nicht autorisiert, und ihr werden, wie die Wulff-Anwälte schreiben, bei Veröffentlichung „widersprochen“. Deutlicher kann man nicht unterstreichen, dass es sich offensichtlich um ein Hintergrundgespräch handelte, um Gesprächsinhalte, die nicht dem Informanten zuzuordnen sein dürfen. Wulff musste annehmen, dass sich die WiWo-Redakteure an die Spielregeln der Branche halten. Das taten sie aber nicht. Am 30. Januar 2012 zitierte das Blatt lang und breit aus dem Off-the-record-Gespräch – und desavouierte damit ihren Whistleblower. Damit ist dem journalistischen Geschäft, dem Vertrauen von Informanten zu Medien, die Geschäftsgrundlage entzogen. Ein Spiegel-Redakteur zur Kontext:Wochenzeitung: „Wir bekommen doch jetzt von niemandem mehr vertrauliche Botschaften gesteckt.“

Da hat sich Kai Diekmann, der Chefredakteur von Bild, geschickter verhalten, wenn auch nicht unbedingt seriöser. Als Wulff ihm auf die Mailbox sprach, weil er eine Bild-Geschichte über die umstrittene Finanzierung seines Einfamilienhauses verschieben oder gar verhindern wollte, ließ er den Inhalt des Gesprächs so streuen, dass die großen Tageszeitungen wie FAZ und Süddeutsche daraus zitieren konnten. Er selbst aber hat sich – zumindest formal – an die Spielregeln gehalten, wenn auch nicht unbedingt anständig verhalten. Bild zitierte die Wulff-Äußerungen auf Diekmanns Mailbox („Wenn Sie Krieg wollen …“) bis heute nicht.

Wulff schenkt Diekmann einen Spruch in der Mailbox

Wulff war offensichtlich mächtig unter Druck. Obwohl der Spiegel schon gut ein Jahr an der niedersächsischen Hausfinanzierungsgeschichte recherchierte – das Blatt ging von der These aus, der Versicherungsmakler Carsten Maschmeyer habe das Wulff’sche Häuschen bezahlt –, war es Bild, die den Fall als erstes Medium publik machte. Seither läuft Diekmann mit einem Heiligenschein durch die Gegend und gefällt sich in der öffentlichen Meinung, dass die Springer-Boulevardzeitung ein staatstragendes Organ sei. Dabei war es nicht die Berichterstattung, die Diekmann zum Helden machte, nicht die Recherche zum Hauskredit. Es war die Botschaft und die Wortwahl, die ihm Wulff mit seiner Ansage auf die Mailbox schenkte.

Sicherlich, Wulff hat Fehler gemacht, große Fehler und auch unverzeihliche Fehler. Viele Journalisten sind überzeugt, dass er zurücktreten müsste, in der Zwischenzeit auch die Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn er stürzt, wird es das „Verdienst“ der Medien sein. Ein scheinheiliges Verdienst, eine Grenzüberschreitung. „Es ist nicht die Aufgabe der Medien, einen Rücktritt zu erzwingen“, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Ein Rücktritt sei „nicht die den Medien zustehende Bestätigung und Belohnung für die Aufdeckung einer Affäre“.

Kleinste Details aus dem Leben Wulffs werden von einigen Medien mittlerweile voyeuristisch an die Öffentlichkeit gezerrt. Kleinste Verfehlungen, harmlose Vorgänge und Handlungen, die mit der Sache nichts zu tun haben, müssen plötzlich für große Geschichten herhalten. Oft sind es nur noch Anekdoten, die das Bekannte untermauern sollen. Ein wahres Recycling der Vorwürfe, um das Feuer am Lodern zu halten. Die Spitze der journalistischen Aufklärung war schließlich das Bobby-Car, das Wulff irgendwann als Geschenk für seinen Sprössling erhalten hat.

Es geht nicht mehr nur darum aufzupassen

Längst spürt das Publikum, dass es manchen Medien nicht mehr um die Wächterrolle in der Demokratie geht. Sie skandalisieren und berichten in dosierten Eskalationsstufen. Sie arbeiten für ihre Auflage oder Quote, weniger um der Wahrheit willen aufzudecken und aufzuklären. Bedacht werden von großzügigen Sponsoren ja immer auch die Medien – ein Trend, der eher zunimmt. Der Landespresseball wäre undenkbar ohne Geldgeber aus der Wirtschaft. Den Hauptpreis bei der Balllotterie stellen in Stuttgart jedes Jahr abwechselnd Mercedes und Audi. Und auch Porsche hat schon einmal einen Boxster für die Verlosung zur Verfügung gestellt. Jedes Jahr gibt es also ein Fahrzeug zu gewinnen, das nicht ganz billig ist und Geld in die Sozialkasse des Landespresseballs spült. Und wenn Journalisten auf Parteitagen in ihren abgeschotteten Pressebereichen arbeiten, stellen Speis und Trank oftmals nicht die Veranstalter, sondern Sponsoren. Klar, sonst müsste die schreibende Zunft das Vesper ja selbst mitbringen.

Werden Journalisten zu Produktvorstellungen in fremde Länder eingeflogen, meckern sie schon auch mal über das Abendessen, wenn es nicht ihrer Vorstellung entspricht. Und ist der Charterflieger nur eine Propellermaschine, dann ist es ebenfalls unter ihrem Niveau. Und sie sagen das auch dem Veranstalter, manchmal sogar ziemlich fordernd. Es sind – cum grano salis – die gleichen Moralwächter, die bei Wulff jeder Petitesse nachspüren. Natürlich gehören beim Geben und Nehmen immer zwei dazu. Und pfiffige PR-Leute wissen, wie man mit honorigen Spenden in der Grauzone von Bestechung und weißer Weste den Beschenkten noch gut aussehen lässt, ihn jedenfalls nicht kompromittiert. Die reine Wahrheit ist auch in diesem Geschäft die Erfindung eines Lügners. Joschka Fischer brachte es auf den Punkt, als er nach einer eventuellen Rückkehr in die Politik befragt wurde: „Ich habe mein Leben so geführt, dass ich den hohen moralischen Standards, die neuerdings an öffentliche Ämter durch die Medien angelegt werden, nicht mehr gerecht werde.“

Je kleinlicher also die Vorwürfe gegen Wulff von den Medien werden, umso eher wird er in seinem Amt bleiben können. Der Tsunami der Berichterstattung steht längst nicht mehr in einem von der Öffentlichkeit akzeptierten Verhältnis zur Relevanz der Anschuldigungen. Der Skandal nahm seinen Ausgang mit der fragwürdigen Finanzierung seines Hauses, bei dessen Aufklärung er nur die halbe Wahrheit sagte. Journalisten, Zeitungsleser und das gemeine Volk waren zu Recht entrüstet. Mit dem Upgrade in einem Flugzeug, einem Besuch des Filmballs auf Kosten eines Marmeladenunternehmers und am Ende dem geschenkten Bobby-Car dreht sich die Meinung des Publikums: Wulff gewinnt, und die Medien verlieren. Jedenfalls an Glaubwürdigkeit.

So macht man das Interesse an Enthüllungen kaputt

Spätestens als die ZDF-Hauptstadt-Chefin Bettina Schausten allen Ernstes auf die Gegenfrage des interviewten Bundespräsidenten sagte, dass sie von ihren Freunden für eine private Übernachtung bei ihr zu Hause 150 Euro verlange, was er ja beim Logieren in den Gemächern seiner Freunde auch zahlen könne, war die mediale Hybris entlarvt. Davon abgesehen, dass ihr dies ohnehin niemand abnimmt, hat der vermeintlich moralische Anspruch der Journalistin großes kabarettistisches Potenzial. Und das Volk spürt so etwas. Es kann einen solchen Schwachsinn nicht mehr hören. Schlimmer noch: es will unter diesen medialen Begleiterscheinungen auch gar nicht mehr wissen, ob bei Wulff nicht doch noch etwas ganz Großes zu enthüllen ist.

Aber das Misstrauen der Bevölkerung geht weiter, es generiert Fragen, die an die Medien gerichtet sind. Diekmanns Rolle bei der Mailbox-Geschichte ist ja auch ziemlich diffus, weil er die inkriminierte Nachricht nicht selbst veröffentlichte, sondern den Weg zum Publikum auf nicht transparente Weise über andere Medien suchte. Die FAZ und die Süddeutsche taten ihm den Gefallen und verschafften ihm und seinem Boulevardblatt eine Seriosität, die es nie und nimmer hat. Ausgerechnet die Bild-Zeitung, die vor Drohungen nicht zurückschreckt, die sich speichelleckend für den Plagiator Guttenberg ins Zeug wirft („Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor“), die gegen „Pleiteländer“ und die „faulen Griechen“ wettert, ausgerechnet dieses Blatt simuliert sich nach der Wulff-Attacke auf den Anrufbeantworter als Opfer. Das wird nicht anhalten. Selbst der Spiegel widmete dieser seltsamen Missionierung eine Titelgeschichte: Das Bild-Logo aus Zündhölzern, überschrieben mit „Die Brandstifter“.

Es existiert ein flaues Gefühl in der Bevölkerung, dass Käßmann und Köhler, Zumwinkel und Kachelmann unangemessen von den Medien angegriffen wurden. Dieses Gefühl der aufgeklärten Masse hat den Betroffenen am Ende geholfen. Mit Wulff wird es nicht anders sein. Wenn die Pressefreiheit, die von Journalisten gerne hochgehalten wird, nur noch Selbstzweck ist, verliert sie für die notwendige Aufklärungsarbeit zunehmend ihre Legitimation. Es wird an den Medien selbst liegen, diesen Eindruck wieder zu beseitigen.

Anton Hunger,62, hat seine journalistische Laufbahn bei der Stuttgarter Zeitung begonnen. Von 1992 bis 2009 war er Kommunikationschef bei Porsche. Hunger ist auch Buchautor („Gebrauchsanweisung für Schwaben“) und Kuratoriumsmitglied der Reportageschule Zeitenspiegel. Auf diesen Beitrag wird der Publizist und Stern-Autor Hans-Peter Schütz in der nächsten Ausgabe antworten.