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Archiv-Artikel

„Eine Schule für alle“

Auf Einladung der Grünen lüftete der deutsch-finnische Bildungsexperte Rainer Domisch das Geheimnis des finnischen Pisa-Erfolgs: Individuelle Förderung und Akzeptanz der Schüler

Von frs

Bremen taz ■ „Vier Milliarden Chinesen können nicht irren.“ Behauptet zumindest die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion, Anja Stahmann – und will damit auch hierzulande eine Lanze für das finnische Einheitsschulsystem brechen. 17.000 Schulen in China lernen inzwischen schon nach dem Vorbild des zweimaligen Pisa-Siegers. In Deutschland hingegen, bilanziert Rainer Domisch von der finnischen Schulbehörde, regiere derzeit der „Rückschritt“.

Gestern sprach Domisch in der Veranstaltungsreihe „Wie andere ihre Schule besser machen“ auf Einladung der Grünen in der Bürgerschaft. Domisch, einst Lehrer in Baden-Württemberg, hat im Jahr 2002 auch eine Delegation aus Bremen empfangen. Die Reise habe sich „wahnsinnig gelohnt“, sagte Bildungssenator Willi Lemke (SPD) damals. Und weiter: Die Basisschule für alle Kinder bis zur 6. Klasse sei selbst in Bremen machbar, auch die Notengebung in der Grundschule könne abgeschafft werden.

Das Gegenteil ist der Fall, resümiert Stahmann: Lemke sei „in Finnland gestartet und in Niedersachsen gelandet“. Dennoch seien die Voraussetzungen für Reformen heute günstiger denn je, so Stahmann: Als Finnland 1968 sein gegliedertes Schulsystem aufgab, sei es dem Land wirtschaftlich schlecht gegangen.

Er sei optimistisch, dass sich auch in Deutschland etwas bewege, sagt der finnisch-deutsche Bildungsexperte – „irgendwann“. Zuvor allerdings müsse die „ideologische Angst-Diskussion“ ein Ende haben, die vielerorts vorherrsche. „Eine Schule für alle“ bedeute keineswegs, dass alle SchülerInnen „gleichgemacht“ und Eliten abgelehnt würden.

Das Erfolgsrezept ist nach seinen Worten weniger in der Struktur der Schulen zu suchen als in der „Schulkultur“. Keine finnische Schule könne behaupten: „Dieser Schüler gehört nicht zu uns.“ Anders als in Deutschland müssten sich „finnische Lehrer ihren Schützlingen anpassen und sie individuell fördern“.

Kein Problem, wenden hier Skeptiker wie die finnische Erziehungswissenschaftlerin Thelma von Freymann ein: Schließlich hätten nur drei Prozent aller finnischen Schulen mehr als 500 Schüler, 60 Prozent hingegen beschäftigten nicht mehr als sechs Lehrkräfte. „Da ist Schule eine absolut persönliche Angelegenheit.“

Natürlich könne man die finnischen Verhältnisse nicht „eins zu eins“ auf Deutschland übertragen, gibt auch Domisch zu – „wohl aber die Zielvorstellungen“. Dazu gehöre auch, sich nicht zu sehr an Rankings wie dem Pisa-Test zu orientieren. Außerdem müssten die Schulen mehr Autonomie erhalten. Das spare auch bürokratischen Aufwand: Finnland hat für 5,5 Millionen BürgerInnen etwa so viele Behördenmitarbeiter für Schulen wie Bremen mit 600.000 Einwohnern. frs