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Archiv-Artikel

Neue Leitlinien deutscher Spielphilosophie

An der Hennes-Weisweiler-Akademie, dem früheren „Fußball-Lehrer-Lehrgang“ an der Sporthochschule Köln, erfahren künftige Trainer nicht nur alles über Mannschaftsführung und Sportrecht. Auch Psychologie ist Teil der Ausbildung

KÖLN taz ■ „Fußball-Lehrer-Lehrgang“ hieß die Kölner Einrichtung bis Mitte dieser Woche, die 1947 vom legendären Sepp Herberger begründet wurde und in der Fußballtrainer ihre formal höchste Ausbildungsstufe erklimmen können. Für Theo Zwanziger, den Präsidenten des Deutschen Fußballbundes (DFB), ein Name, der für Deutschlands höchste Fußballausbildungsstätte in einer Epoche griffiger und eingängiger Produktnamen nicht mehr zeitgemäß ist.

Der Lehrgang sei „eine Marke des deutschen Fußballs“, erklärte Zwanziger am vergangenen Mittwoch in Köln. Deshalb müsse sie auch einen entsprechend geschmeidigen Namen erhalten. „Hennes-Weisweiler-Akademie“ lautet nun der neue Name der Institution an der Kölner Sporthochschule, und seither strahlt der Lehrgang mit ganz anderem Glanz in die sich Deutschland zuwendende Fußballwelt hinaus.

Tatsächlich kann die Akademie, die seit 2000 von dem früheren Bundesligatrainer Erich Rutemöller geleitet wird, auf eine glorreiche Tradition zurückblicken. Bis auf Franz Beckenbauer, für den es immer einen Sonderweg gibt, haben sich alle deutschen Bundesligatrainer hier ausbilden lassen. 1.233 Absolventen, darunter 13 Frauen, durften den Titel des „Staatlich geprüften Fußball-Lehrers“ entgegen nehmen. Gerade befindet sich der 50. Lehrgang mit Andi Möller, Heiko Herrlich und Jürgen Klopp in der Prüfungsphase.

Der Stoff ist vielseitig. Fächer wie „Sportrechts- und Verwaltungslehre“, „Mannschaftsführung“ oder „Spielbeobachtung“ werden mit relevanten Erkenntnissen von Leichtathleten, Turnern, Biomechanikern oder Trainingswissenschaftlern ergänzt. In den Hörsälen wurde in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule schon früh interdisziplinär gearbeitet. Das Fach Psychologie etwa wurde bereits in Herbergers allererstem Lehrgang unterrichtet.

Bis es allerdings einen Psychologen im Trainerteam der deutschen Nationalmannschaft gab, mussten fast 60 Jahre ins Land ziehen. Erst Jürgen Klinsmann setzte dieses Anliegen in die Tat um. Auch was heute jeder Fußballjournalist betreibt – eine Analyse der Entwicklungen des internationalen Spitzenfußballs –, fand im Fußball-Lehrer-Lehrgang erst in der Ära Völler/Skibbe Eingang in die Lehre. Jetzt wird dort anhand von Leitlinien die „deutsche Spielphilosophie“ formuliert: „Betontes Offensivspiel über die Außen, individuelle Angriffsaktionen gepaart mit Kombinationen, flexibles Verteidigen zu Viert, aktive Balleroberungen, mitspielender Torhüter“ heißt es da. Doch nach Betrachten der laufenden Champions-League-Saison, in der die deutschen Teams gegenüber Engländern und Italienern körperlich nicht mithalten konnten, kann man fragen, ob hier nicht der Schwerpunkt „physiologischer Feinschliff“ hilfreich wäre.

Ein Absolvent, der nicht genannt werden will, meinte auf diese Frage: „Oft sind die Inhalte nicht ganz vorne dabei bei den Innovationen des Weltfußballs.“ Er führt das auf die große Nähe zu den eher „träge manövrierfähigen Institutionen DFB und Sporthochschule“ zurück. Vielleicht ist dies Ausdruck für ein Problem des gesamten deutschen Bildungssystems, das nicht mehr reagieren kann auf die rasanten Entwicklungen dieser Zeit. Und dennoch würde niemand behaupten, die Ausbildung sei nicht hilfreich.

„Man nimmt schon Einiges mit“, findet auch Mainz 05-Trainer Jürgen Klopp, der sich lange sträubte, den Lehrgang zu besuchen; schließlich hat er seine Qualitäten auch ohne Ausbildung längst unter Beweis gestellt und wird in Mainz dringend gebraucht. Für die anderen Teilnehmer ist seine Anwesenheit indes ein Segen. Wenn Klopp das Wort ergreift und seine Bundesligaerlebnisse reflektiert, sind alle gleich viel aufmerksamer, als wenn die Dozenten sprechen, heißt es. Wie es sonst bisweilen zugeht im Unterricht, wurde zur feierlichen Umbenennung in einem kleinen Film deutlich. Dort ist eine Lehrkraft zu sehen, die über die Energiegewinnung der Muskulatur referiert. Die Kamera schwenkt auf Felix Magath, und dem fallen gerade die Augen zu. DANIEL THEWELEIT